Volksabstimmung über Stuttgart 21: Ja. Nein. Vielleicht.
Am 27. November stimmen die Bürger über das umstrittene Bahnprojekt ab. Der Volksentscheid kann vieles bewirken, nur eines sicher nicht: den Streit befrieden.
STUTTGART taz | Erstmals in der Geschichte Baden-Württembergs sollen am 27. November die BürgerInnen mit einer Volksabstimmung das Wort haben. Sie sollen darüber abstimmen, ob das Land aus der Finanzierung von Stuttgart 21 aussteigen soll.
Bislang hat der Streit um den Tiefbahnhof das meiste der grün-roten Regierungszeit überschattet. Er belastet die Koalition und auf den Straßen wird noch immer munter weiterprotestiert. Doch ein Ende des Streits ist auch mit der Volksabstimmung nicht in Sicht.
Denn ein mögliches Ergebnis ist, dass die S-21-Gegner zwar die Mehrheit der Stimmen erzielen, aber nicht das Quorum erreichen. Dieses sieht vor, dass nicht nur die Mehrheit der gültigen Stimmen, sondern auch mindestens ein Drittel aller Wahlberechtigten für den Ausstieg stimmen muss. Eine Hürde, die kaum zu erreichen ist.
Schon jetzt positionieren sich die verschiedenen Akteure für heiße Diskussionen nach der Abstimmung. Und so könnte die Volksabstimmung letztlich vieles bewirken, nur sicher eines nicht: den Streit zu befrieden.
Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 hat bereits erläutert, warum aus seiner Sicht das Quorum zweitrangig sei: In Artikel 60 Absatz 5 der Verfassung stehe schließlich, dass die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen entscheide. Erst im zweiten Satz heißt es: "Das Gesetz ist beschlossen, wenn mindestens ein Drittel der Stimmberechtigten zustimmt."
Dies bedeute nicht, dass sich der Landtag bei einem entsprechenden Mehrheitsvotum der BürgerInnen nicht noch einmal mit dem Ausstiegsgesetz befassen oder es gar doch annehmen könne. "Auch für uns gilt die Verfassung", sagt der Sprecher des Aktionsbündnisses, Hannes Rockenbauch: "Aber am Ende ist es eine politische Frage, wie man damit umgeht."
Er richtete "die klare Erwartung an die Grünen und an die SPD", die Mehrheit zu akzeptieren. "Alles andere wird die Regierung politisch gar nicht durchhalten können."
Opposition sieht Angriff auf den Rechtsstaat
Im Gegenzug wird den S-21-GegnerInnen aufgrund solcher Forderungen schon jetzt vorgeworfen, die Verfassung brechen zu wollen. "Mit ihrer Aussage haben die ProjektgegnerInnen von Stuttgart 21 ganz deutlich klargestellt, wie sie zu Recht und Verfassung stehen", sagte CDU-Fraktionschef Peter Hauk.
"Sie werden das Ergebnis der Volksabstimmung nur akzeptieren, wenn es ihren Vorstellungen entspricht." Das sei ein Affront gegen den Rechtsstaat. Bei einem entsprechenden Ergebnis dürfte sich also dieselbe Diskussion fortsetzen.
Allerdings stellte auch der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann klar, dass für ihn das Quorum bindend sei: "Es ist Bestandteil der Verfassung und wir machen Tagespolitik auf der Grundlage der Verfassung." Und auch im Koalitionsvertrag hat die SPD durchgesetzt, dass bei einem Verfehlen des Quorums keine der beiden Parteien noch einmal das Ausstiegsgesetz in den Landtag einbringen wird.
Da die Grünen als S-21-Gegner also relativ sicher davon ausgehen können, dass die Volksabstimmung nicht zum Ausstieg führen wird, konzentrieren sie sich längst auf einen anderen Aspekt: Sie stilisieren die Kosten zur entscheidenden Frage für den Weiterbau.
Polizei plant für den "D-Day"
"Ich kann das Projekt nicht anfahren, ohne zu wissen, was passiert, wenn die Kosten aus dem Ruder laufen", sagte Kretschmann kürzlich. Die grün-rote Koalition hat einen Kabinettsbeschluss gefasst, der vorsieht, dass sie sich an keinen Kosten beteilige, die über die bislang vereinbarten 4,5 Milliarden Euro hinausgingen.
Dass also nach dem 27. November der Streit weitergehen dürfte, zeigen nicht zuletzt die Polizeipläne, die in den vergangenen Tagen bekannt geworden waren. Sollte der Tiefbahnhof weitergebaut werden, stünden als Nächstes der Abriss des Südflügels sowie das Fällen weiterer Bäume an.
Unter dem Stichwort "D-Day" plant die Polizei, mit insgesamt 9.000 Einsatzkräften und einem massivem Zaun das gesamte Areal um den Hauptbahnhof abzusperren. Man müsse eben "mit allem" rechnen, heißt es.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts