: Vogels Verhängnis
Geld, Sprache und auch noch Sprachliebesakte: Heiko Michael Hartmanns traurig-komischer Beamtenroman „Unterm Bett“von DIRK KNIPPHALS
Ein Beamtenroman. Ein Beamtenroman? Es gibt wohl kaum ein literarisches Projekt, das auch nur ähnlich muffig erscheint wie so eins. Und ähnlich unzeitgemäß. Ein lesbarer, intelligent gemachter Roman über den deutschen Beamten, wie er leibt und lebt in Amtsstuben und Klischees – so etwas kann einem auf den ersten Blick als Widerspruch in sich erscheinen. Das kann es nicht geben. Und wenn es das doch gibt: Wen, denkt man achselzuckend, soll das eigentlich interessieren?
„Ich bin ein Beamter.“ So lautet der Satz, mit dem Heiko Michael Hartmann, 1957 geboren, Jurist und Schriftsteller, seinen neuen Roman „Unterm Bett“ beginnen lässt. Sprachlich geht es im Verlauf dieses ebenso hoch merkwürdigen wie hoch amüsanten Buches durchaus nicht immer so schlicht zu wie an diesem Anfang; vor allem wer nun eine gradlinige Lebensbeichte erwartet, gerät bald auf eine falsche Fährte.
Inhaltlich aber ist mit diesem ersten Satz bereits Wesentliches gesagt. Dominik Vogel ist Beamter und Ich-Erzähler dieses Buches. Er führt uns durch seinen Dienst in einem kleinen Dachgeschosszimmer der Bundesaufsichtsbehörde für das Bankwesen, durch die lähmende Routine wie die seltsamen Exzesse, die dort herrschen. Und die Art und Weise, wie Heiko Michael Hartmann ihn das tun lässt, ist nicht nur geeignet, die allermeisten Ansichten über einen Beamtenroman über den Haufen zu werfen. Sondern die Ansichten, wie viel Kunstwille ein komischer Roman verträgt beziehungsweise wie viel Komik ein artifizieller Roman, gleich mit.
Wer immer noch meint, dass Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit Bereiche sind, die sich auf dem Felde der Literatur ausschließen, wird sich in diesem Bücherfrühjahr einen anderen Favoriten suchen. Alle anderen können sich darüber freuen, wie bei Heiko Michael Hartmann Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit verquickt sind. In der Vehemenz, mit der „Unterm Bett“ sich zwischen die Stühle begibt – zu avantgardistisch, um wirklich als Beamtengroteske durchzugehen, zu lustig, um von der Schwerliteraturfraktion goutiert zu werden –, setzt dieses Buch Maßstäbe.
Dabei funktioniert es zunächst wie eine große Fundgrube für Zitate, Aperçus und Anekdoten. Es gibt unzählige Stellen, die man anstreichen, herausschreiben oder am besten gleich auswendig lernen möchte. „Dabei ist ja der Kampf mit Außenstehenden für die Beamten im Verhältnis zu ihrem ununterbrochenen Ringen mit den Mitbeamten ein bloßer Nebenkampf, oft sogar eine dringend benötigte Abwechslung“, heißt es an einer Stelle. An einer anderen bezeichnet Dominik Vogel den Kampf der Beamten um Ordnung als heroisch, „immerhin ist er aussichtslos“. Und irgendwo stellt er sich den arbeitsfreien Sonntag wie auf einem Kinderbild vor: „ein blauer Himmel, die Sonne und eine grüne Wiese, auf der Glückliche von der Abschaffung aller anderen Wochentage träumen“.
Solche schönen Wendungen finden sich allenthalten, man kann sie sich unwillkürlich von Beamtenhand selbst ausgedruckt und neben irgendeinem Schreibtisch an die Wand geheftet vorstellen. Aber das ist nur die Oberfläche. Dahinter werden Abgründe sichtbar. Die Abgründe eines gebremst unglücklichen, da überflüssigen Bewusstseins.
Dass Dominik Vogel Probleme mit seiner Arbeit hat, wird schon aus den wenigen Zitaten deutlich. Allerdings gilt auch: „Sich seinem Unglück mit Lust hinzugeben, deshalb bin ich Beamter.“ Und so schildert er mit einer Mischung aus Lust und Verwunderung die seltsamen Vorkommnisse in seinem Amt.
Wochenlang etwa hört Dominik Vogel ein Weinen aus dem Nachbarzimmer. Er unternimmt nichts, irgendwann hört das Weinen wieder auf. Ein Vorgesetzter erhängt sich auf dem Männerklo, das schon am nächsten Tag wieder zur Benutzung freigegeben wird. Einmal beginnt Dominik Vogel mit einem Lineal gegen die Heizung zu klopfen; bald klopft es, wie in einem Gefängnis, aus allen Teilen des Amtes zurück. Außerdem erfahren wir, dass sich die wichtigsten Vorgänge der Bankprüfung von selbst erledigen. Man muss nur die passende Akte lange genug zurückhalten, und nach einiger Zeit fragt niemand mehr nach.
Das alles ist natürlich im Grunde tieftraurig. Und wird so ganz beiläufig erzählt, dass man erst im Nachhinein erschrickt. Ab der Hälfte etwa kippt der Roman. Nun gibt es auch so etwas wie Handlung; Dominik Vogel wird erst von einer Kollegin verführt – „Oft fängt das mit einem durch die Qualen des Alleinseins verursachten zu freundlichen Grüßen an“ –, später darf er zu einem Wirtschaftsgipfel nach Japan reisen. Und indem diese Ereignisse Dominik Vogel ansatzweise aus seiner Lethargie reißen, wird zum Schluss ganz dezent der Umriss eines Bildungsromans erkennbar. „Bisher“, so steht es auf der letzten Seite, „gab es zwei gegensätzliche Kräfte, die an mir rissen, das Beamtenleben und meine Abscheu vor ihm.“ Nun hat er etwas drittes entdeckt: die Leidenschaft. Das könnte etwas sein, was Dominik Vogel über seine sprachlichen Selbsterhaltungsspiele in der deutschen Bankenaufsicht hinaustreiben lässt. Irgendwie wünscht man es ihm.
Geld und Sprache, das sind die beiden Themen, die Heiko Michael Hartmann bereits vor drei Jahren in seinem Debüt „MOI“ umtrieben. Geldscheine waren hier mit einem Virus infiziert, das eine ebenso unheilbare wie groteske Krankheit verursacht. Und der namenlose Ich-Erzähler, erkrankt und in ständige Händel mit Krankenschwestern und Mitpatienten verstrickt, war mit einem (wunderbar wiedergegebenen) Sprachmischmasch aus Fernsehtalk, Alltagsgerede und Dialekten konfrontiert: „– Määtschik Wooter! Der neue exklusive Duft von Schah Nell! – Bundesbank? Was heißtn Bundesbank? Die hättens Geld doch vorher kontrolliern können!“
Auch in „Unterm Bett“ ist das Geld etwas Unheimliches. Nur dass es nicht ansteckend, sondern ins nicht Fassbare gerutscht ist. Einmal wird Dominik Vogel aufgefordert, bei einer Bankbesichtigung „Fünfzig Geld“ in ein Telefon zu sprechen. Das würde bedeuten, dass er Devisenoptionen im Wert von fünfzig Millionen Mark bestellt. Er erschrickt und tut es nicht. Das einzige, was in dieser Gemengelage aus Unwirklichkeit und Abstumpfung wirklich greifbar ist, ist die Sprache. „MOI“ war so etwas wie der Kampf eines Erzählers mit den von außen auf ihn einströmenden Sprachfetzen. „Unterm Bett“ handelt vom Kampf Dominik Vogels, überhaupt erst wieder zu einer Außenwelt vorzudringen. Sogar das, was sich auf Dominik Vogels Verführung durch eine Kollegin ergibt, findet nur innerhalb der Sprache statt – ein Sprachliebesakt gewissermaßen (wie das ganze Buch).
Nicht nur aus diesem Grund wird man sich nach der Lektüre dieses Romans vielleicht vornehmen, Beamte einmal ganz anders anzusehen.
Heiko Michael Hartmann: „Unterm Bett“. Hanser Verlag, München, Wien 2000, 222 Seiten, 34 DM
Hinweis:
In der Vehemenz, mit der sich Heiko Michael Hartmann zwischen die Stühle begibt, setzt dieses Buch Maßstäbe
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