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Vogelparadies Neusiedlersee„Natur erlebbar machen“

Nicht nur Corona, auch der Klimawandel setzt dem Nationalpark Neusiedlersee zu. Viel Arbeit für Parkdirektor Johannes Ehrenfeldner.

Zwei Säbelschnäbler im Nationalpark Neusiedler See Foto: CHROMORANGE/imago
Beate Willms
Interview von Beate Willms

Taz: Herr Ehrenfeldner, was ist für den Nationalpark Neusiedler See/Seewinkel aktuell die größere Herausforderung, die Coronapandemie oder der Klimawandel?

Johannes Ehrenfeldner: Ich würde das nicht gegeneinanderstellen. Wir wissen noch gar nicht, welche Folgen Corona alles haben wird. Und der Klimawandel macht sich bei uns mit sehr geringen Niederschlägen schon sehr deutlich bemerkbar.

Das heißt, Corona schreckt Sie nicht?

Na, schrecken tut mich nichts. Wenn ich eine Momentaufnahme machen soll, dann haben die Coronamaßnahmen von März bis Mai oder Juni unsere Pläne durcheinandergebracht und uns auch Einnahmen gekostet. Im April mussten wir die Bird Experience 2020 absagen, eine Riesenveranstaltung für Vogelkundige mit Exkursionen, Vorträgen, Workshops und der dazugehörigen Messe. Immerhin können wir seit dem 1. Juli wieder das normale Nationalparkprogramm anbieten.

Was ist das „normale Programm“?

Nationalparks sollen nicht nur Natur und Arten schützen und erhalten, sondern Natur auch für Menschen erlebbar machen, durch Exkursionen zum Beispiel. Für die Gäste sind die Rangerinnen und Ranger das Gesicht des Nationalparks. Das sind aber vor allem Freiberufler, die nach erbrachter Leistung bezahlt werden. Das war beim Shutdown ein großes Problem.

Stichwort Bird Experience: Birdwatching ist die große Attraktion des Nationalparks?

Bisher wurden hier 371 Vogelarten gesichtet, Reiher, Löffler, Graugänse, Enten, die verschiedendsten Singvögel, sogar Großtrappen, in den Salzlacken auch Möwen oder Limikolen.

Wieso ist das Gebiet so interessant für die Vögel?

Das ist die besondere Lage des Seewinkels zwischen Alpen und der ungarischen Tiefebende und die Vielfalt von Lebensräumen: Wir haben großflächige Feuchtgebiete, Wiesenfläche, Trockenrasen, Sandsteppen und Salzstandorte wie die Lacken. Und das alles eng beeinander.

Im Interview: Johannes Ehrenfeldner

Der studierte Bodenkundler und begeisterte Vogelkundler, ist heute, nach Tätigkeit in unterschiedlichen Bereichen der österreichischen Nationalparks, Direktor des Nationalparks Neusiedler See – Seewinkel.

Gibt es eine Hauptsaison für die Vogelbeobachtung?

Eigentlich das ganze Jahr. Viele Arten brüten hier. Aber besonders schön ist der Vogelzug im Frühjahr und im Herbst. Denn der See mit seinem flachen Wasser ist eine beliebte Zwischenstation für über 100 Zugvogelarten, er gaukelt ihnen praktisch eine Küste vor. Pünktlich zu Allerheilligen etwa kommen die Kraniche. Und sie bleiben immer länger und manche fliegen überhaupt nicht weiter. Dieses Jahr hatten wir die österreichische Erstsichtung eines Jungfernkranichs.

Ist so eine Erstsichtung vor allem eine wissenschaftliche Sensation oder zieht sie auch Besucher!nnen an?

Die Vogelbeobachter sind schon eine ganz eigene und gut vernetzte Community. Das ging über ihre Plattformen und am nächsten Tag sind aus ganz Österreich, vom angrenzenden Bayern, aus Ungarn, der Slowakei und Polen bestimmt 50 bis 100 Leute mit ihren großen Objektiven da gewesen und haben fotografiert.

Ist das die Zielgruppe des Nationalparks? Vogelkundige?

Die sogenannten Profibirder sind sehr angenehme, gut informierte Gäste. Weil die auch unsere Angebote zum frühen Frühlingsbeginn in der Ungarischen Tiefebene, dem Gänsestrich und dem Kranichzug im Spätherbst nutzen, konnten wir dazu beitragen, dass sich die Tourismussaison nach vorne und hinten verlängert. Das ist gut, weil es unseren Hauptgeldgebern, dem Bund und dem Land Burgenland, zeigt, dass der Nationalpark zur Wertschöpfung in der Region beiträgt. Aber unsere Hauptzielgruppe über das ganze Jahr sind Familien, denn wir betreiben ja auch Umweltbildung, und da setzt man am besten bei den Kindern an.

Womit locken Sie die?

Wir haben im Nationalparkzentrum gerade die Ausstellung neu konzipiert. Das Gute bei uns ist ja, man kann die Tiere bei uns immer verhältnismäßig leicht beobachten. Wenn wir sagen, wir haben einen Löffler, kann ich ihn unseren Gästen in der Ausstellung vorführen. Wir wissen aber auch ungefähr, wo er sich draußen aufhält, und dort können sie ihn in seinem angestammten natürlichen Lebensraum beobachten. Oder auch die Graurinder und Wasserbüffel, die die Kulturlandschaften beweiden, die zum Nationalpark gehören.

Was hat es genau mit den Salzlacken auf sich, die die Besonderheit des Nationalparks sind?

Salzlacken kommen in Europa nur hier und in Ungarn vor. Es sind kleine flache Seen, die sehr salzhaltig sind. Der Boden ist nach unten hin dicht, es gibt keine Zuflüsse, sie werden also nur von Regenwasser gespeist. Desalb trocknen sie in heißen Sommern immer wieder aus – dann blüht das Salz – und füllen sich beim nächsten Niederschlag dann wieder. Das ist ein ständiger Wandel. Die Arten, die hier leben, sind hochspezialisiert und können nur in dieser Umgebung existieren.

Tatsächlich fallen immer mehr Lacken komplett trocken. Von 116 Salzseen in den 1960er Jahren sind nur noch ein paar Dutzend übrig. Ist der Klimawandel schuld?

Nur wenn das Grundwasser von unten gegen die dichte Schicht drückt, wird Salz in die Lacke geliefert. Kapilliarwirkung nennt sich das. Aber der Spiegel sinkt immer weiter. Der Klimawandel – insbesondere das Ausbleiben der Niederschläge – macht das nicht besser.

Was sonst senkt den Grundwasserspiegel?

Um die Region vor allem für die landwirtschaftliche Nutzung urbar zu machen, wurde ein ausgeklügeltes Drainagesystem angelegt. Bis zum Einsetzen der langen Trockenperioden war das in Ordnung. Jetzt muss man bestrebt sein, jeden Tropfen Wasser in der Region zu halten.

Das klingt nach einer politischen Aufgabe, für die man Bündnispartner braucht.

Wenn wir diese einzigartigen Lebensräume nicht verlieren wollen, müssen wir jetzt etwas tun. Wir arbeiten hier mit dem WWF und dem Burgenland zusammen und haben gerade ein Projekt bei der EU eingereicht, dessen Hauptthema es ist, die Drainagegräben zumindest im Umkreis der Salzlacken zu unterbrechen. Außerdem werden wir gemeinsam mit landwirtschaftlichen Betrieben, die bereits ökologisch wirtschaften, und dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau Modelle entwickeln, wie die Landwirtschaft in sehr niederschlagsarmen Regionen aussehen kann.

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