Völkermord in Ruanda: Verdächtiger in deutscher Haft
Ein von Ruanda gesuchter neuseeländischer Staatsbürger wurde in Frankfurt festgenommen. Ruanda beantragt seine Auslieferung.
Das Oberlandesgericht Frankfurt prüft jetzt die Anordnung der Auslieferungshaft. Die Staatsanwaltschaft wollte Einzelheiten zur Person weder bestätigen noch dementieren.
Nach Informationen der taz handelt es sich bei dem Festgenommenen um Enoch Ruhigira, den letzten Kabinettsdirektor des ehemaligen ruandischen Präsidenten Juvénal Habyarimana. Dessen Ermordung am 6. April 1994 war der Start für Massaker an über 800.000 Tutsi und Hutu-Regimegegnern. Ruhigira floh damals aus Ruanda, ist heute 65 Jahre alt und lebt seit vielen Jahren in Neuseeland, das ihn eingebürgert hat. Es gibt keinen anderen von Ruanda gesuchten 65-Jährigen in Neuseeland.
In der Vergangenheit haben die deutschen Behörden Auslieferungen nach Ruanda abgelehnt, weil Zweifel daran bestanden, dass dort ein rechtsstaatliches Verfahren möglich sei. Die letzten entsprechenden Anträge stammen aus dem Jahr 2008 und betrafen unter anderem den als Flüchtling in Deutschland lebenden ruandischen ehemaligen Bürgermeister Onesphore Rwabukombe, der in Frankfurt festgenommen worden war, sowie Führungsverantwortliche der im Kongo als Sammelbecken der am Völkermord Beteiligten kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas).
Weil sie nicht nach Ruanda ausgeliefert wurden, kamen sie in Deutschland vor Gericht. So wurde Rwabukombe Ende 2015 vom Oberlandesgericht Frankfurt wegen Völkermords zu lebenslanger Haft verurteilt.
Im Oktober 2011 erklärte der Europäische Gerichtshof für Menschrechte indes die Auslieferung eines in Schweden lebenden Ruanders für zulässig; dies gilt als Präzedenzfall. Die deutschen Behörden müssen nun entscheiden, ob sie der europäischen Rechtsprechung folgen.
Am Flughafen von Kigali
Als eine Rakete am Abend des 6. April 1994 über Kigali das Flugzeug traf, in dem Ruandas Präsident Juvénal Habyarimana gerade von einem Gipfel zurückkehrte, stand sein Kabinettschef Enoch Ruhigira empfangsbereit am Flughafen.
In der Tasche hatte er schon Anweisungen, das vereinbarte Übergangskabinett zu bilden, das die damals in Ruanda kämpfenden Tutsi-Rebellen in die Regierung einbinden sollte. Radikale Hutu bekämpften diesen Plan. Die Friedensregelung ging mit dem Präsidentenflugzeug in Flammen auf.
Der Kabinettschef bat den französischen Botschafter sowie den UN-Chef in Kigali um Hilfe. Doch weder Frankreich noch die UNO griff ein, als die Radikalen begannen, Gegner der Hutu-Regierung sowie alle Tutsi Ruandas abzuschlachten – ein Völkermord, der über 800.000 Tote fordern sollte.
Als Mitwisser der Planung dieses Völkermordes wird der damalige Kabinettschef seitdem von Ruanda gesucht. Dort herrschen seit Juli 1994 die einstigen Tutsi-Rebellen unter Präsident Paul Kagame. Ruhigira setzte sich damals nach Belgien ab und landete in Neuseeland, dessen Staatsbürgerschaft er annahm.
Der 1951 im Distrikt Kibuye geborene Ruhigira wurde 1991 „Präsidialminister“ Habyarimanas und dann Kabinettsdirektor. Er war einer der engsten Mitarbeiter des Präsidenten, aber auch einer der diskretesten. Das UN-Ruanda-Völkermord-Tribunal klagte ihn weder an, noch lud es ihn je als Zeugen. Erst 2011, nach langem Schweigen im Exil, meldete sich Ruhigira mit seinen Memoiren zu Wort.
Die Folge: Er kam in seiner Wahlheimat am anderen Ende der Welt in juristische Bedrängnis, zumal Ruanda auf seine Auslieferung drängte: Auf der aktuellen Liste der ruandischen Generalstaatsanwaltschaft mit gesuchten Völkermordverantwortlichen steht Ruhigira auf Platz 126.
Den Haftbefehl bestätigten Ruandas Behörden erst vor Kurzem. Jetzt ging der Polizei am Frankfurter Flughafen ein 65-jähriger von Ruanda gesuchter Neuseeländer ins Netz: Es konnte nur Ruhigira sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!