Völkermord an den Deutschen?: Deutsch, vom Ohr bis zum Arsch
Der Schriftsteller Akif Pirinçci hat einen Völkermord an den Deutschen ausgemacht. Die Täter: junge muslimische Männer. Er meint das todernst.
Wer war nochmal Akif Pirinçci? Genau, das war doch der, der Anfang der neunziger Jahre mit den Krimiromanen „Felidae“ und „Der Rumpf“ recht großen Erfolg hatte; der Geschichte mit dem Katzendetektiv Fracis, die sogar verfilmt wurde. Und was hat der Mann danach gemacht? Weitere Romane geschrieben, ohne je wieder an seine frühen Erfolge anknüpfen zu können, was freilich kein Grund zur Häme ist, nicht einmal ein Qualitätsurteil.
Seit dem vorigen Jahr aber macht Pirinçci noch etwas anderes: Er publiziert auf dem unter anderem von Henryk M. Broder betriebenen Webblog „Die Achse des Guten“, wo neben Broder selbst ein so kluger und feinsinniger Autor wie Hannes Stein schreibt, aber auch Cora Stephan nimmermüde gegen die Zumutungen des Sozialstaates kämpft („Alles ganz schlimm“) und das Autorenduo Maxeiner & Miersch alternative Wetterberichte liefert („Alles nicht so schlimm“).
Dort also veröffentlichte Pirinçci bereits Ende März unter dem Titel „Das Schlachten hat begonnen“ einen Text, der nun, mit einiger Verspätung, so etwas wie eine Debatte ausgelöst hat.
Und darum geht's: Pirinçci will eine „Serie von immer mehr und in immer kürzeren Abständen erfolgenden Bestialitäten“ beobachtet haben, „die zumeist von jungen Männern moslemischen Glaubens an deutschen Männern“ begangen würden. Deutsche Frauen würden „zumeist vergewaltigt“, wie auch „die meisten Vergewaltiger in Europa inzwischen Moslems“ seien. Morde und Vergewaltigungen seien Teile eines „evolutionären Vorgangs“, der nicht weniger bedeute als einen „schleichenden Völkermord“ an den Deutschen. Diese seien unter dem Joch einer „linksgrünen Gesinnungsdiktatur zu einem „Haufen von Duckmäusern“ pervertiert, weshalb sie dem Geschehen tatenlos zusehen würden.
Völkersterben bei den Deutschen? Das ist doch eine gute Nachricht, könnte man einwenden, ohne sich die Kritik gefallen lassen zu müssen, einen Genozid zu verherrlichen. Warum sollte man auch nicht über etwas spotten, das nur in der Fantasie eines Bonner Krimiautors und in den Postings sozialgestörter Internetdeppen existiert? Das ist derart irre, dass sich die Frage aufdrängt, ob der Text nicht ein Akt von Kommunikationsguerilla ist – sowas soll ja hin und wieder vorkommen. Aber nein, das ergab am Montag eine Nachfrage der taz, er meint das alles haargenau so.
Beweisführung ohne Beweise
Nun sind Untergangsfantasien in Deutschland seit jeher beliebt. Rechte Publizisten wie Oswald Spengler oder Friedrich Sieburg ließen vornehmlich die deutsche Nation untergehen, linke Apokalyptiker die gesamte Menschheit, wenn nicht gleich den Planeten. Seit geraumer Zeit kommen derlei Fantasien mit der Geste des politisch Verfolgten daher: Man wird ja wohl noch sagen dürfen, was gesagt werden muss. Das gilt für Günter Grass („Israel gefährdet den Weltfrieden“) wie für Thilo Sarrazin („Ausländer stören den Hausfrieden“).
Während Henryk M. Broder inzwischen den Text im Namen der Meinungsfreiheit verteidigt, kritisiert der Journalist und „Achse“-Autor Tobias Kaufmann das allzu Offensichtliche: „Pirinçci verwendet all die Codes und Argumente, die Kern der NPD-Ideologie sind.“ Die „Beweisführung ohne Beweise“ erinnere an die „9/11-Spinner, Antisemiten oder Anti-Gentechnik-Hysteriker“.
Es wäre also zu viel der Ehre, Pirinçci als irgendwie relevante Stimme in der Auseinandersetzung zwischen Ausländerschutzbeauftragten und Berufsislamkritikern zu sehen, was man angesichts seines Textes im aktuellen Focus vielleicht noch denken könnte. Nein, sein Schreibschreib ist nach Form und Inhalt ordinärer rechtsextremer Internetdreck. Das gilt für den Originaltext, das gilt aber auch für die Replik auf den Bremer Journalisten Jochen Grabler, den Pirinçci mit der sprachlichen Eleganz eines NPD-Kreisvorsitzenden als einen „aus dem Trog des linksgrün versifften Staatsfunks Radio Bremen saufenden Journalistendarsteller“ bezeichnet.
„Ich bin mit jeder Faser Deutscher“, bekannte er vor vier Jahren an passender Stelle, nämlich dem Webblog „Politically Incorrect“ – eine für einen Schriftsteller höchst überraschende Aussage übrigens, die man sonst allenfalls von ein paar besonders einfältigen Wald- und Wiesendichtern hören dürfte, wie sich auch kein amerikanischer Schriftsteller von auch nur mittelmäßigem Rang als „mit jeder Faser Amerikaner“ bezeichnen würde.
Pirinçci aber will nichts sein als Deutsch, Deutsch, Deutsch, von den Ohren bis zum Arsch, weshalb er auch weiß, welche Art von Katastrophe hierzulande besonders gut ankommt: ein echter Völkermord. Ein Völkermord, bei dem die Deutschen selbst Opfer sind – und zwar kein historischer und daher nur halber Völkermord (Dresden, Stasi), sondern einer, der heute und morgen stattfindet.
Eine Interviewanfrage
Das ist ein Teil der Geschichte. Der andere scheint sehr viel banaler: Am Montagsmittag hat die taz-Kollegin Cigdem Akyol eine Interviewanfrage an Pirinçci gestellt, was dieser sofort, noch ehe das Gespräch überhaupt stattgefunden hatte, auf Facebook vermeldete: „Heute gebe ich der taz ein Interview, allerdings nur schriftlich, damit sie mich nicht mit irgendwelchen Nachhakereien in die Pfanne hauen können.“
Nicht nur diese Einlassung – wer unbedingt will, kann sich an gleicher Stelle anschauen, wie Pirinçci seinen Kommentar im Focus schon vorab mit einer Aufgeregtheit verkündete, die man sonst nur von Praktikanten vor ihrer ersten Veröffentlichung im Lokalteil kennt – offenbart eine Gier nach Aufmerksamkeit, die fast schon bemitleidenswert ist. Aber nur fast. Und, Herr Pirinçci: In die Pfanne gehauen haben Sie sich selber. Kein Bedarf mehr. Und tschüss.
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