Völkergipfel in Rio: Beifall und Buhrufe
Auf der Rio+20-Gegenveranstaltung, dem Völkergipfel, gilt Green Economy mehr als Trauma denn als Traum. Ein Befürworter stellt sich der Diskussion.
RIO DE JANEIRO taz | Die Kritiker waren verblüfft: Achim Steiner, Chef des UN-Umweltprogramms Unep und Hauptverantwortlicher für den Green-Economy-Bericht „Die Zukunft, die wir wollen“, lud sich selbst zum sogenannten Völkergipfel in Rio de Janeiro ein.
Stunden später saß der UN-Funktionär, der seine Vorstellungen gerade in einem taz-Interview darlegte, inmitten von zehn Aktivisten, für die die Green Economy das rote Tuch überhaupt ist. Eine seltene Gelegenheit zur Debatte.
Auf den UN-Umweltgipfel Rio+20, der am Mittwoch offiziell beginnt, setzen die Teilnehmer der Gegenveranstaltung keine Hoffnung. Denn im weitläufigen und sehr sterilen offiziellen Tagungszentrum Riocentro und einem nahegelegenen Messegelände wird dem Mantra der Green Economy gehuldigt. Gleich neben dem UN-Entwicklungsprogramm präsentiert dort Siemens seine „nachhaltigen Lösungen“.
„Die Green Economy ist untrennbar mit der Braunen Wirtschaft verknüpft“, erklärte die Brasilianerin Larissa Parker in Richtung Steiner: Je größer die Umweltzerstörung durch fossile Energieträger, desto lukrativer sei für die Finanzmärkte das Geschäft mit dem Emissionshandel.
Nachhaltigkeit und Gleichheit
„Warum geht es bei Ihnen nie um die Verteilung von Land und Reichtum?“ Unterstützt wurde sie von Aktivisten aus Argentinien und Peru, die auf die Enteignung von Indigenen und Kleinbauern durch Agro- und Bergbaumultis hinweisen.
Die UNO sei das Abbild der Kräfte, die die globalen Gesellschaften prägen, erwiderte der Offizielle, die Green Economy werde ganz unterschiedlich definiert. Selbstverständlich könnten die Märkte allein die Krise nicht bewältigen, nötig seien daher Rahmenbedingungen, die auch Nachhaltigkeit und Gleichheit berücksichtigten. „Gerade durch die Inwertsetzung der Wälder kann ihre Zerstörung verhindert werden“, sagte er.
„Es liegen Welten zwischen den Träumen aus Nairobi [dem Sitz des Umweltprogramms, d. Red.] und der Realität in den Ländern des Südens“, meinte der kanadische Technologieexperte Pat Mooney. „Wir dürfen doch nicht denen, die gerade das Finanzsystem zerstört haben, auch noch die Natur überlassen.“
Ungemütlich wurde es am Schluss, als der Bolivianer Pablo Solón in einer Brandrede Steiner als „unehrlich“ attackierte. Rio+20 sei von den großen Konzernen „kooptiert“. Steiner wies dagegen darauf hin, dass die Wende hin zu erneuerbaren Energien doch eine dezentrale Angelegenheit mit unterschiedlichen Akteuren sei. Er erntete Buhrufe, aber auch Beifall für seinen Versuch, ins Gespräch zu kommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt