Vögel rotten sich zusammen

Eine unverfrorene Ente macht sich an den Resten einer Backofenkartoffel zu schaffen. Das ist nur ein Zeichen von vielen. Sage später niemand, er habe es nicht gewusst

Wir wissen nicht viel über Vögel. Eins wissen wir genau: Dass die Vögel auf der Hitliste der „größten Feinde der Menschheit“ auf einem der Spitzenplätze rangieren. Spätestens seitdem wieder einmal so eine Art Sommer ist, wissen wir das, und für den Fall, dass wir es zwischenzeitlich vergessen haben sollten, geben sich die Vögel redlich Mühe, uns stets aufs Neue daran zu erinnern, dass sie es tatsächlich genau auf diese Reputation und nichts anderes angelegt haben.

Die Vögel nerven. Die Vögel nerven aber so was von. Das hat mit den kurzen Sommernächten zu tun. Schon zur lauschigen Nachtstunde, wenn noch kein Silberstreif den Horizont trübt, hocken sie da in ihren Ästen und hyperventilieren. Nur, um beim ersten zaghaften Morgengrauen, also zeitig, also wenn unsereins mal zeitig ins Bett zu gehen versucht – LOSZUBRÜLLEN und zu krakelen und zu ramentern, dass es nur so eine Art hat. Nachtigallen, Lerchen, Amseln, alles scheißegal, alles durcheinander und immer gib ihm, als wenn es kein Morgen gäbe.

Das, soweit ich mich entsinnen kann, haben die Vögel schon immer gemacht, wenngleich mir die Intensität und Lautstärke in diesem Jahr deutlich und exponentiell über der vergangener Jahre zu liegen scheint. Schwerer wiegt, dass die Vögel es nicht bei der bloßen Lärmbelästigung bewenden lassen und immer dreister und aggressiver auch tätliche Überfälle und Angriffe auf Menschen ausüben.

Zum ersten Mal am eigenen Leib gewahr wurde ich dieser Tatsache, als einige Kollegen und ich kürzlich die Mittagspause auf einem Ponton in der Hamburger Hafengegend verbrachten und sich eine unverfrorene Ente an den Resten der Backofenkartoffel zu schaffen machte. Nicht allein, dass sie vor dem Verzehr die Reste ausgiebig schüttelte und schlonkerte und uns alle mit Kräuterquark vollspritzte. Danach pirschte sie sich unter dem fadenscheinigen Vorwand, die nunmehr verstreut umeinander liegenden Kartoffelbrösel aufpicken zu wollen, an mich heran und biss mich volle Kanne in den Finger. Die Bissspuren sieht man noch heute.

Während die Öffentlichkeit noch über Kampfhunde debattierte (wobei man spekulieren kann, wer eigentlich ein Interesse daran haben könnte, dieses Thema prominent im Sommerloch zu lancieren – womöglich zu Ablenkungszwecken), holen die Vögel zur großen Mobilmachung in den Städten aus. Kürzlich war im Spiegel zu lesen, dass die Vogelvielfalt – und damit logischerweise auch ihre Zahl – in den Ballungsgebieten stetig zunimmt, während sie in den ländlichen Regionen längst rückläufig ist. Ein anderes Wort dafür wäre: Zusammenrottung.

Neulich morgens fand ich mein Fahrrad ramponiert und lieblos an anderer Stelle hingeschmissen vor, als ich es abends zuvor angeschlossen hatte. Alles deutete darauf hin, dass die Vögel es entwendet hatten und damit so lange vor irgendwelche Hauswände gefahren sind, bis sie die Lust daran verloren. Auch habe ich das Gefühl, dass sie heimlich, wenn ich außer Haus bin, durchs Fenster einsteigen, in den Kühlschrank kucken, das eine oder andere mitgehen lassen, um sich schließlich an meinen Computer zu setzen und Dateien zu löschen oder umzubenennen. Allein diesen Text musste ich dreimal aufs Neue beginnen, weil alle vorherigen Entwürfe auf mysteriöse Weise verschwunden waren. Was sie sonst noch so mit Computern anstellen, liegt im Dunkeln. Vielleicht sollte man aber die Ermittlungen im immer noch weitgehend ungeklärten Fall des „I LOVE YOU“-Virus einmal in diese Richtung lenken.

In den USA tobt derzeit eine heftige wissenschaftliche Kontroverse darüber, ob die Vögel nicht eigentlich die letzten überlebenden Dinosaurier bzw. deren direkte Stellvertreter auf Erden seien. Wenn man eins und eins zusammenzählt, erscheint eine Version weitaus plausibler, wonach die Vögel im Gegenteil maßgeblich für das Aussterben der Dinosaurier verantwortlich zeichnen. Genau wie die Vögel nämlich seinerzeit heimtückisch die schwerfälligen und arglosen Dinosaurier niedermeuchelten, haben sie es jetzt auf die Menschen abgesehen. Allem Anschein nach steht die Großoffensive erst noch bevor, und wenn es so weit ist, wird sich erweisen, dass Alfred Hitchcock ein unverbesserlicher Optimist war. Sage dann niemand, er hätte von nichts gewusst. KIRK FRIEBE

Hinweis:Nachtigallen, Lerchen, Amseln, alles durcheinander und immer gib ihm, als wenn es kein Morgen gäbe