Viet-Pop-Konzert in Berlin: Dissidentinnen im Duett
Mai Khôi trat ohne BH auf und kandidierte füs Parlament. In Vietnam hat sie deswegen Auftrittsverbot. In Berlin spielte sie gemeinsam mit Jazzy Da Lam.
Mai Khôi machte Schlagzeilen, weil sie ohne BH auftrat und zum traditionellen langen, geschlitzten Kleid, Áo dài genannt, Leggings trug. Auch mit ihrem Song „Selfie Orgasmus“ von 2014 provozierte sie. In dem dazugehörigen Video ist eine nackte Frau im Bett zu sehen. Und es werden zwei in Vietnam bekannte Künstler gezeigt, die sich küssen und dabei ein Selfie machen.
Wenn westliche Medien die Sängerin zu Vietnams Lady Gaga erklärten, ist das ein naheliegender Vergleich, der aber nicht erfasst, wie skandalös ihre Interventionen Hanois Sittenwächtern erscheinen. Ihnen gilt Mai Khôi als Ausdruck von Unmoral.
Doch als die Sängerin, die inzwischen in der Heimat Auftrittsverbot hat, in Berlin auf der Bühne steht, geht es nicht um Grenzüberschreitungen. Sie hat eine Botschaft, die Hanois Zensoren aber genauso wenig gefallen dürfte.
Der Áo dài ist schnörkellos rot
Für Mai Khôi, die schon als Zwölfjährige mit ihrem Vater im zentralvietnamesischen Nha Trang in einer Hochzeitsband spielte, ist es die erste Deutschlandtournee. Dafür hat sie sich mit der seit 1992 in München lebenden vietnamesischen Jazzpianistin Jazzy Da Lam zusammengetan. Während diese einen glitzernden Áo dài aus Samt trägt, ist der von Mai Khôi schnörkellos rot. Die beiden beginnen mit einer Schnulze im Duett, dann folgt eine Coverversion des bekanntesten vietnamesischen Antikriegslieds, „Auf den Leichen singen“, von Trinh Công San.
Mai Khôi hat sich zur politischen Liedermacherin gewandelt. Zwar kritisiert sie immer noch, dass zwei nicht verheiratete Liebende in Vietnam nur dann zusammen eine Nacht im Hotel verbringen können, wenn sie das Personal schmieren. Aber darüber hinaus geht es ihr und ihrer Künstlerkollegin nun auch um politische Freiheit, um die Überwindung von Ängsten, Agitation gegen Gewalt gegen Demonstranten, um politische Gefangene, Kritik am übermächtigen Nachbarn China. Mai Khôi fordert ihr Publikum auf, sich politisch einzubringen.
Mai Khôi
Jazzy Da Lam, die in Moskau zur Jazzpianistin ausgebildet wurde, räumt ein, dass sie ihre Partnerin erst seit Kurzem kennt. Im Frühjahr erklärte Mai Khôi ihre Kandidatur für die Nationalversammlung. Vietnams Kommunisten brüsten sich damit, dafür auch Unabhängige zuzulassen. Doch als Mai Khôi sich bewarb, wurde sie wie Dutzend andere nicht zugelassen. Die Folge war ein Auftrittsverbot – ihr letztes Konzert in Vietnam brach die Polizei ab. Das machte Mai Khôi über die Landesgrenzen hinaus bekannt und führte zu einem Treffen mit US-Präsident Barack Obama bei dessen Vietnambesuch im Mai.
Die beiden Frauen beeindrucken durch die Stilbandbreite ihrer Musik. Klassik, Jazz, Blues, Folklore und bewusst dissonantes Spiel wechseln sich ab. Mai Khôi spielt Gitarre, Jazzy Da Lam Flügel und Keyboard. Bei drei Liedern werden sie vom Cello begleitet. Ihre Stimmen sind wandlungsreich. Doch vor allem bei Mai Khôi steht der kräftige Gesang im Kontrast zu der zarten Mädchenstimme bei den Ansagen. Ihre Mimik, die anfangs nur ein Grinsen zu kennen scheint, wirkt angesichts der eher harten Themen für westliche Augen befremdlich.
Das Publikum geht nicht mit
„Wenn jeder von uns seine Stimme erhebt, haben wir zusammen größere Macht.“ Das ist nicht nur der Tenor eines der Songs, sondern die Botschaft des Abends. Das Publikum geht aber nicht mit. Denn es kennt fast keines der Lieder, die hier erstmals vorgetragen werden.
Dennoch wird später Zustimmung in Form von Geldscheinen ausgedrückt, die den Künstlern per Kuvert zugesteckt werden. Der Eintritt war frei, aber verbunden mit der Bitte um Spenden. Es wird auch noch um ein Selfie mit den berühmten Sängerinnen gebeten, die von Mai Khôi in „Selfie Orgasmus“ formulierte Kritik geflissentlich ignorierend. Die Sängerin spielt lächelnd mit.
Ihre Deutschlandtour wertet Mai Khôi positiv, Angst vor einer Festnahme bei der Rückkehr hat sie nicht: „Ich kritisiere die Regierung ja nicht, ich sage ihr nur, was die Bevölkerung denkt“, sagt sie lächelnd. Ihre Musik aber kann sie nur noch über soziale Medien und im Ausland veröffentlichen. Ihren Wandel zur politisch aktiven Sängerin erklärt sie damit, dass Vietnamesen heute mehr protestieren als früher: „Ich will, dass die Zivilgesellschaft Gehör findet.“
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