piwik no script img

Vier Jahre Bürgerkrieg in SyrienEin Land liegt im Dunkeln

Die Verhältnisse in Syrien sind eine „humanitäre Katastrophe der ersten Ordnung“. Hilfsorganisationen geben der Weltgemeinschaft eine Mitschuld.

Unicef-Mitarbeiter mit einem kleinen Mädchen im syrischen Homs. Bild: dpa

BERLIN afp | Mehrere Hilfsorganisationen haben die internationale Gemeinschaft für das Leiden der syrischen Zivilbevölkerung mit verantwortlich gemacht. Im vergangenen Jahr habe der UN-Sicherheitsrat drei Resolutionen zum Schutz von Zivilisten im Bürgerkrieg verabschiedet, erklärten die 21 Gruppen am Donnerstag. Untersuchungen zeigten jedoch, „in welchem Ausmaß Konfliktparteien, Mitglieder des Sicherheitsrats und andere UN-Mitgliedstaaten die Resolutionen ignoriert oder untergraben“ hätten. Neue Satellitenbilder zeigten unterdessen das Ausmaß der Zerstörung im Land.

Verfasst wurde der Report „Failing Syria“ unter anderem von Save the Children, World Vision und Oxfam. Die Organisationen kritisierten, dass das Jahr 2014 das bisher blutigste in dem seit vier Jahren andauernden Konflikt gewesen sei. Insgesamt habe es 220.000 Tote gegeben, davon allein 76.000 im vergangenen Jahr. Der Zugang zu Hilfen sei nicht besser geworden. 4,8 Millionen Menschen befänden sich in von der UNO als „schwer zugänglich“ Gebieten – 2,3 Millionen mehr als noch 2013.

Weiter hieß es, der Hilfsbedarf habe zugenommen. 5,6 Millionen Kinder seien mittlerweile auf Hilfen angewiesen – 31 Prozent mehr als im Jahr 2013. Zugleich entspreche die Ausstattung der Nothilfe immer weniger dem Bedarf. Im Jahr 2013 seien 71 Prozent der erforderlichen Maßnahmen finanziert gewesen, ein Jahr später hingegen nur noch 57 Prozent, beklagten die Organisationen und riefen die UNO dazu auf, den Syrien-Resolutionen Geltung zu verschaffen.

Wahllose Angriffe

Der Bericht warf zudem beiden Konfliktparteien im syrischen Bürgerkrieg, Regierungssoldaten sowie bewaffneten Aufständischen, vor, wahllos Einrichtungen und Infrastruktur von Zivilisten anzugreifen. Dazu gehörten unter anderem Schulen und Gesundheitszentren, kritisierte der Bericht. Der syrische Bürgerkrieg hatte Mitte März 2011 mit regierungskritischen Protesten begonnen und sich rasch zu einem bewaffneten Konflikt ausgeweitet. Mittlerweile kämpft Syrien auch mit der brutalen Herrschaft der Dschihadistenorganisation Islamischer Staat (IS) in vielen Landesteilen.

Wissenschaftler von der Universität von Wuhan in China präsentierten unterdessen am Mittwoch die Ergebnisse einer Auswertung von Satellitenbildern von Syrien. In einer Erklärung von rund 130 Nichtregierungsorganisationen hieß es, dass das Land nachts mittlerweile nahezu im Dunkeln liege. Demnach sank die Zahl der sichtbaren Lichter seit März 2011 um 83 Prozent. Weniger Licht bedeute „mehr Vertriebene, zerstörte Infrastruktur und Stromausfälle“, beklagte der Leiter der Studie, Xi Li.

Besonders verheerend war demnach die Lage in der einstigen Wirtschaftsmetropole Aleppo, wo die Zahl der sichtbaren Lichter um 97 Prozent zurückging. Die Hauptstadtprovinz Damaskus war mit 35 Prozent Rückgang noch vergleichsweise gut aufgestellt. „Syrien tritt in die dunklen Jahre ein, wahrhaftig und bildlich“, sagte der frühere britische Außenminister und jetzige Präsident des International Rescue Committee (IRC), David Miliband.

Die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright beklagte, was sich derzeit in Syrien abspiele, sei eine „humanitäre Katastrophe der ersten Ordnung“. Sie rief die internationale Gemeinschaft zu mehr Anstrengungen auf, um den Krieg zu beenden.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Und ich denke, jede Sichtweise, die die eigene Handlungsaktivität der jeweiligen Menschen in jedem Gebiet der Erde abblendet und sagt "Die westlichen Strategen planen", ist kolonialrassistisch top-down.

    Es gibt viele mächtige Akteure - und Verbrecher.

  • Im Gegenteil: das Assad-Regime kann solange so weiter machen, wie es von Russland, dem Iran, der Hezbullah, direkt unterstützt wird, und die westlichen Regierungen es als notwendiges Übel sehen, mit dem man zusammenarbeiten müsse.

     

    Die Militärdiktatur band früher viele sunnitische Mittelklasse-Händler ein, stützt sich aber seit Mitte der 00er Jahre nur noch auf die Alawitischen Militärs und Geheimdienste, die jede Protestregung immer mit brutaler Gewalt niederschlugen.

     

    Ein solches Regime irgendwie zu relativieren, zu rechtfertigen ist verbrecherisch.

     

    Die Jihad-Ideologie nutzt solche Regime, um ihre Kriegsphantasien zu globalisieren. Ursprünglich gehen sie vom Kreuzzeug und Israel als Anlass aus.

    Nicht so die syrische Opposition.

    Man muss dazu leider gut Arabisch können.

  • Was Albright wohl unter den Anstrengungen versteht? Fakt ist dass die USA in Syrien das Szenario anderer Umstürze Ägypten und Co weiterführen wollte. Die besten Freunde der USA, Saudi Arabien Türkei Emirate, haben die Al Kaida Ableger mit Waffen und Geld zugeschi... en. Die US Regierung war der Meinung dass Russland Verträge die es mit Syrien hat nicht einhalten würde. Einen Vertragspartner verraten würde. Zudem hat Russland in Syrien Zugang zu Mittelmeerhafen. Und hier schließt sich der Kreis zur Ukraine. Beide Konflikte sind entstanden nach dem Drehbuch der Regierungsberater Wolfowitz und Brzezinsky. Sie haben unmittelbar miteinander zu tun. Die USA wollen jede Regionale Macht die nicht ihrem Interesse dient beseitigen. Die andere Atommacht überall schwächen. Die Krim, Schwarzmeerhäfen Russlands, und Syrien, Mittelmeerhäfen für Russland, sind Teile eines von den USA angetriebenen Machtkampfes.

     

    Die letzten Äußerungen von Victoria Nuland "Fuck the EU" zeigen Beispielhaft das Selbstverständnis der USA Weltpolitik. "Die USA hätten ihre Führungsrolle in Europa wahrzunehmen." so vor dem US Kongress. Aber es geht nicht um Europas Wohl es geht allein um " Die einzige Weltmacht". Die USA. --- https://www.freitag.de/autoren/hans-springstein/usa-legen-kalte-kriegs-strategie-wieder-auf ---

     

    "In Bezug auf die Türkei, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sagte Biden: “Sie waren so entschlossen, Assad zu stürzen und einen sunnitisch-schiitischen Krieg zu führen, – was also taten sie? Sie schütteten jeden, der gegen Assad kämpfen wollte, mit Hunderten Millionen Dollar und Dutzenden, ja, Tausenden Tonnen Waffen zu. Allerdings belieferten sie auch Leute von al-Nusra und al-Qaida und die extremistischen Elemente der Dschihadisten aus allen Teilen der Welt.“

    • @conny loggo:

      kann ich nur zustimmen. Bezogen auf Syrien empfehle ich die Journalistin Karin Leukefeld die vor Ort recherchiert und eine echte Expertin ist und nicht nur das quasselt was die Meister aus Übersee hören wollen. http://leukefeld.net/?cat=6

       

      Aber man halt seine Ronzheimer...