: Vier Almosen für das Schlußlicht
1. FC Nürnberg — Hertha BSC 1:4/ Harmlose Berliner vom „Club“ reich beschenkt ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler
Preisrätsel: Eine Mannschaft schießt zwei Tore, gibt drei maßgerechte Vorlagen, die jeweils zu Toren führen, und verliert trotzdem 1:4. Wie geht das?
Richtig, es war vorgezogenes Weihnachtsfest im Frankenstadion. Der 1. FC Nürnberg, der eigentlich als Tabellenvorletzter nichts zu verschenken hatte, überhäufte den harmlosen Tabellenletzten aus Berlin mit Almosen, so daß Hertha BSC den ersten Auswärtserfolg in der laufenden Saison verbuchen konnte. Trainer Arie Haan, nach Nürnberg gekommen, um dort den Fußball „zu kultivieren“, prognostizierte nach dem Schlußpfiff: „Es sieht nun sehr, sehr böse aus für uns.“
Das hätte nicht sein müssen. Zu Beginn kombinierte der „Club“, das Direktspiel lief, die Hertha reagierte hilflos und in der 10. Minute wähnten sich der 1. FC Nürnberg und 13.700 ZuschauerInnen auf der Gewinnerstraße. Wirsching servierte maßgerecht für Türr, der erwischte Junghans auf dem falschen Fuß und schoß aus zehn Metern zum 1:0 ein.
Das muß die Schlüsselszene des Spiels gewesen sein. Die Nürnberger erbarmten sich fortan der in der Tabelle bereits abgeschlagenen Hertha. Geradezu altruistisch gaben sie den Berlinern mit Mißverständnissen in der eigenen Abwehr Chancen, die sich diese nie hätten erspielen können. Denn bis dahin blieb der Aufsteiger jeden Beweis der Bundesligatauglichkeit schuldig. Dabei hatte sich Herthas neuer Trainer Pal Csernai für das Kellerduell in Nürnberg viel vorgenommen: „Wir werden unser Spiel auf eine höhere Ebene verlegen“, hatte er vieldeutig verlauten lassen und damit anscheinend seine Mannschaft intellektuell überfordert. Nichts ging zusammen bei der Hertha, statt dessen verstand der Ex-Kölner Armin Görtz die Trainerweisung allzu wörtlich und knallte den Ball in die erste Etage der Zuschauertribüne.
Nach mehreren Chancen der Nürnberger, den Vorsprung auszubauen, kamen die großen Stunden der Club-Akteure Ulf Metschies und Uli Bayerschmidt. Eine an sich harmlose Flanke wuchtete Ulf Metschies in der 39. Minute völlig unbedrängt mit einem Flugkopfball ins eigene Netz. Mit dem 1:1 ging es in die Kabinen, und Trainer Csernai hatte sich augenscheinlich sehr viel Mühe gegeben, seine Weisung zu konkretisieren.
Die wenigen Male, in denen die Berliner in der zweiten Halbzeit zum Angriff bliesen, schlugen die Hertha-Kicker, sobald sie die Mittellinie hinter sich gelassen hatten, hohe Flanken in den Nürnberger Strafraum. Sie gaben damit Nürnbergs Libero Uli Bayerschmidt die Gelegenheit, zum spielentscheidenden Mann zu werden. In der 47. Minute verlängerte Bayerschmidt eine popelige, unpräzise Flanke mit dem Kopf genau zu Theo Gries, der unbedrängt ins lange Eck zum 1:2 einköpfen konnte. Das gleiche passierte in der 75. Minute, Gries schoß aus 15 Metern volley das 1:3. Sechs Minuten später ließ sich Bayerschmidt wie ein C-Klassenspieler von René Unglaube ausspielen, der aus spitzem Winkel den 1:4 Endstand erzielte.
Dazwischen gab es wütende Attacken des 1. FC Nürnberg gegen das Tor von Walter Junghans, der wie ein Turm in der Schlacht alle Bälle meisterte. „Walter, Walter über alles“, jubelten die mitgereisten Hertha- Fans zurecht.
Das war ein Riesenerfolg für uns“, resümmierte Pal Csernai mit seinem unvermeidlichen Seidentuch (diesmal schwarz-weiß-gepunktet). „Wir haben für unsere Verhältnisse guten Fußball gespielt“, übte er sich in Bescheidenheit. Club-Trainer Arie Haan, sonst gern der Dressman der Bundesliga, hatte diesmal seinen obligatorischen Seidenschal vergessen und murmelte etwas von „katastrophalem Spiel“ in die Mikrofone. Auf die Frage, warum er ausgerechnet Bayerschmidt, der schon gegen Eintracht Frankfurt die beiden Vorlagen zum 0:2 gegeben hatte, wieder hat Libero spielen lassen, antwortete der in Nürnberg als „exzellenter Taktiker“ geschätzte holländische Vize-Weltmeister, daß Bayerschmidt „wohl nicht der richtige Mann für uns ist“.
Vielleicht sollten die Nürnberger erst einmal die Grundzüge des Fußballspiels erfassen. Fußball ist ein Spiel zweier gegnerischer (!) Mannschaften. „Wir stehen da unten, weil wir zu allen so nett sind“, erkannte Club-Präsident Gerd Schmelzer das Problem. Doch auch er liefert allwöchentlich Beweise, daß er sich zwar sehr gut mit Immobilien auskennt, aber entsprechend schlecht mit dem Fußballgeschäft. Die Fans haben ihm die Spielerverkäufe der letzten drei Jahre von Reuter, Grahammer, Dorfner, Schwabl (FC Bayern München), Giske (1. FC Köln), Eckstein (Eintracht Frankfurt), Andersen (Düsseldorf) und insbesondere Sammy Sane (Wattenscheid) nicht verziehen. Damit sanierte Schmelzer zwar den hochverschuldeten Verein und kann sich derzeit rühmen, mit weniger Umsatz nahezu den gleichen Gewinn wie Meister Bayern München zu erwirtschaften, doch er versäumte es, die Mannschaft gezielt zu verstärken.
Wer gewonnen hat, hat etwas zu verschenken, dies weiß auch Pal Csernai. Er wünschte nach dem Spiel dem „Club“ den Klassenerhalt „von ganzem Herzen“. Doch so ein Fan vor dem Anpfiff sachkundig: „Wenn der Club heute nicht gewinnt, gegen wen will er dann überhaupt noch gewinnen!?“
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