Anne FrommUnter Druck
: Eine schlechte, aber auch eine sehr gute Nachricht

Beim Zeitunglesen habe ich in den letzten Tagen einmal sehr schlechte und einmal sehr gute Laune bekommen. Fangen wir mit der schlechten an. Viele Leitartikler fragen sich gerade, wer eigentlich Schuld ist am „Impfdesaster“. Daran, dass mittlerweile halb Israel geimpft ist, die Senioren hierzulande aber immer noch in der Telefonhotline hängen.

Der Chefredakteur der Magdeburger Volksstimme scheint zu wissen, wie sich das lösen ließe: „In der Krise müssen Führer auch disruptiv vorgehen, sich selbst ermächtigen, andere überfahren, Dinge riskieren“, schrieb Alois Kösters am Donnerstag in der Volksstimme. Das Personal dafür stehe „leider nicht zur Verfügung“.

Führer, die sich selbst ermächtigen? Das hatten wir doch schon. Ruft da der Chefredakteur nach der guten, alten, braunen Zeit? Oder will er behaupten, dass die Putins und Bolsonaros dieser Welt Corona mit Leichtigkeit besiegt haben?

In Sachsen-Anhalt, wo die AfD bei der letzten Landtagswahl knapp 25 Prozent geholt hat, ist es wahrscheinlich nicht überraschend, dass die Lokalzeitung nicht gerade am linken Rand steht. Trotzdem hat es mich bei „Führer, die sich selbst ermächtigen“ geschüttelt. Wer so etwas schreibt, der scheint von demokratischen Prinzipien nicht viel zu halten. Von freier Presse offenbar auch nicht, denn die gäbe es unter einem starken Führer nicht.

Was es unter so einem auch nicht gäbe, sind die 185 Schauspieler*innen, die sich im SZ-Magazin als homo-, trans- oder bisexuell, queer oder nicht-binär outen. Die schiere Masse der Film- und Theaterschaffenden, die sich in dem Magazin zeigen, ist beeindruckend. Noch berührender und schillernder ist aber, was sechs von ihnen im Interview erzählen, über ihr Leben als Menschen, die nicht der gesellschaftlichen Norm zu entsprechen scheinen. Die ihre Part­ne­r*in­nen nicht mit auf den roten Teppich nehmen, aus Angst, ihre Homosexualität könnte ihnen Nachteile bringen. Denen geraten wird, keine Holzfällerhemden zu tragen, weil das zu „lesbisch“ sei. Die als Männer keine Zärtlichkeit spielen dürfen, weil Männer in diesem Land hart und souverän zu sein haben.

Dass das deutsche Fernsehen es nicht schafft, gesellschaftliche Vielfalt so abzubilden wie sie längst Normalität ist, ist arm. Für die Schau­spie­le­r*in­nen ist es verletzend, für queere Zu­schaue­r*in­nen entmutigend, für alle anderen außerdem langweilig, wenn immer die gleiche weiße heteronormative Familie in ihrer Manufactum-Küche gezeigt wird.

Andererseits macht mir dieses Interview Hoffnung. Vor zehn Jahren wäre es noch nicht erschienen. Jetzt erscheint es in einem der größten Magazine dieses Landes. Das zeigt, dass hier etwas in Bewegung ist. Dass Vielfalt selbstverständlicher wird. Dass die, die nach einem sich selbst ermächtigendem Führer rufen, langsam übertönt werden von denen, die eine pluralistische Gesellschaft fordern und längst leben. Das ist die beste Nachricht dieser Tage.