Vielfalt in den Museen: Migration als Modeerscheinung
Die deutsche Museumslandschaft will sich in der Breite kulturell öffnen. Doch das stößt auch auf Widerstände.
Sie sind auf besondere Weise miteinander verbunden: eine Gesellschaft und ihre Museen. Schon lange wollen diese nicht mehr nur kulturelles Erbe bewahren, sondern die Realität auch widerspiegeln, ja im besten Fall den gesellschaftlichen Diskurs durch innovative museale Inszenierungen positiv verändern. Die Wirklichkeit ist allerdings nicht immer so avantgardistisch. Oft reproduzieren Ausstellungen stereotype Rollenbilder, statt mit ihnen zu brechen.
Das zeigt sich besonders an den Themen Migration und Vielfalt. Spätestens Ende der 1950er hat eine neue Welle der Arbeitsmigration auch die Bundesrepublik unübersehbar zu einer Einwanderungsgesellschaft gemacht. Die politische Einsicht dazu kam etwa 40 Jahre danach. Die bundesweit erste große Ausstellung zum Thema Einwanderung war 1998 in Essen zu sehen: „Fremde Heimat – Yaban, Sılan olur“. Noch immer gibt es in Deutschland kein Migrationsmuseum.
Doch nicht zuletzt um neue Besuchergruppen anzusprechen, ist Migration ein populäres Thema geworden, vor allem in Wechselausstellungen verschiedener Stadtmuseen. Angestoßen wurde dies auch durch die Politik, die den Kultureinrichtungen im nationalen Integrationsplan 2007 eine „interkulturelle Öffnung“ verordnete. Daraufhin gründete der Deutsche Museumsbund (DMB), der Interessenverband der Museen, 2010 den Arbeitskreis Migration.
Ende vergangener Woche stellte dieser auf einem Kongress in Berlin den Leitfaden „Museum, Migration und kulturelle Vielfalt“ vor. Der Tenor: Museen sollen und wollen sich kulturell öffnen, Multiperspektivität und Teilhabe sind entscheidende Bausteine. Gekommen waren über 100 Vertreter von Museen und Hochschulen, unter ihnen Lorraine Bluche und Frauke Miera, die Kuratorinnen der Ausstellungsreihe „Migration macht Geschichte“ am Berliner Museum Friedrichshain-Kreuzberg FHXB.
Seit drei Jahren haben sie außerdem in einem Projekt des AK Migration vier Museen dabei unterstützt, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund einzuladen, um Exponate neu zu kommentieren und so Teilhabe zu ermöglichen. Bluche gab zu bedenken: „Zu einer Öffnung der Institution gehört die Öffnung nach innen wie nach außen, also in Bezug auf Publikum, Programm und Personal.“
Wie das aussehen kann, berichtete anschließend Mustafa Akça, der sich an der Komischen Oper Berlin als „Brückenbauer“ versteht. Indem etwa Stücke ins Türkische übersetzt werden, soll speziell die türkischstämmige Community angesprochen werden. Aber auch Akça meinte, dass die Leitungsebene der Museen entscheidend für deren Grad an kultureller Öffnung sei. Während auf dem Kongress eine zum Teil demonstrative Einigkeit zu herrschen schien, wurde nun deutlich, dass Wandel auch wehtut, so er mit Kompetenzverschiebungen einhergeht.
Stipendium „Migration und kulturelle Vielfalt“
Denn die Entscheider an deutschen Museen, das wurde auf dem Berliner Kongress auch deutlich, sind doch meist „deutsche Deutsche“. Dennoch scheuten sie sich, von einer „Unterrepräsentanz“ von Migranten an Museen zu sprechen. Belastbare Zahlen dazu hat der DMB nicht. Ein Versuch, Museen herkunftsoffener und vielfältiger zu machen, ist das Stipendium „Migration und kulturelle Vielfalt“. Es holt deutschlandweit zwölf AkademikerInnen mit Migrationshintergrund für zwei Jahre an Museen.
Nach Berlin waren einige von ihnen gekommen – und berichteten auch von Rassismuserfahrungen und Diskriminierungen aufgrund nichtdeutscher Namen.Die Vizepräsidentin des Deutschen Museumsbundes, Wiebke Ahrndt, warf den StipendiatInnen jedoch vor, sich in eine „Opferrolle“ zu begeben. Und ein älterer Herr, selbst Direktor eines historischen Museums, meinte, dass das Thema Migration derzeit etwas sehr „en vogue“ sei.
Migration als Modeerscheinung? Während mancherorts, etwa am FXHB oder am Historischen Museum Frankfurt, Migration, Teilhabe und Vielfalt dazugehören, ohne immer explizit benannt zu werden, ist es insgesamt noch ein weiter Weg bis zum selbstverständlichen Umgang damit. Bis zu einer Perspektive, die der heutigen Globalisierung und Zusammensetzung der Gesellschaften besser gerecht würde.
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