piwik no script img

Viel Gesprächsstoff in Frankfurt (Oder)Keine Sommerpause

Von einer Saure-Gurken-Zeit kann in der deutsch-polnischen Provinz keine Rede sein. Irgendwas ist immer im Gespräch oder gibt es zu Gucken. Auch Libellen.

Zeigt sich gern beim Streifzug durch die Natur: die Libelle Foto: picture alliance/dpa/Patrick Pleul

B eim Cold-Brew-Käffchen in einem hippen Coworking-Café in Frankfurt (Oder) − ja, das gibt’s! − treffe ich einen Kollegen. Wie eigentlich immer, wenn ich da bin. Der Segen der Kleinstadt: Man muss sich nicht verabreden und trifft sich doch regelmäßig.

Jedenfalls reden wir über das Sommerloch. Dieses große Grauen der Medien, die Sommerzeit, wenn angeblich nichts Berichtenswertes passiert. Dabei sollte die Betonung auf „berichtenswert“ liegen, denn passieren tut doch viel. Ich finde: Sommerloch, Sommerpause, Saure-Gurken-Zeit − das gibt’s bei uns nicht, hier in der deutsch-polnischen Provinz.

Da feierten zuletzt Tausende Menschen aus der Doppelstadt und Umland in Słubice die polnische Schlager-Diva Maryla Rodowicz, in Frankfurt (Oder) das 80er-Jahre-Sternchen Thomas Anders. Mehr als 100.000 Besucher sollen da gewesen sein! Dafür gab es gar drei Tage lang Fußgängerzone auf der Hauptstraße und kostenlosen Stadtverkehr bis spät in die Nacht. Und niemand beschwerte sich − gemeckert wurde stattdessen über hohe Preise an den Ess- und Trinkständen.

An der im Vorfeld in Social-Media-Gruppen umstrittenen „Sorry“-Skulptur treffen sich nahezu täglich Menschen, um über den Sinn von Kunst, den Umgang mit Migration und Reaktionen auf Klimafragen zu diskutieren. Es werden persönliche Geschichten aus Kriegsgebieten erzählt und Demonstrationen organisiert. Da ist wirklich ein Austauschort entstanden. Merke: Man stelle grobe Betonwände mit Glassplittern auf der Oberkante in Wortform an beliebten Spazierwegen auf und lade zu Gesprächen. Die passieren dann wirklich!

Angst vor einem Fischsterben

Dahinter fließt weiter die flache Grenzoder der Ostsee entgegen. An Land ist die Angst groß, dass aus ihr bald das nächste Fischsterben auftaucht − die Goldalge ist ja noch im Wasser, die Temperaturen steigen, der Pegel sinkt. An möglichen Ursachen durch Einleitungen und Verschmutzung hat sich kaum etwas verändert. Die Salzwerte, heißt es, seien längst wieder so hoch wie im August 2022. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit.

Vom Abwarten hat man 30 Kilometer oderabwärts die Nase voll: Da kämpft seit Monaten eine deutsch-polnische Initiative um die sogenannnte „Ostbahn“, die kleine Regionalbahn 26, betrieben von der Niederbarnimer Eisenbahn. Da fallen ständig Wagen und Klimaanlagen aus, über die Grenzbrücke Küstrin–Kostrzyn fährt wegen Bauarbeiten seit Monaten ein Mini-Ersatzbus. Kurz: Die Fahrgäste sind gefrustet.

Grenzüberschreitende ÖPNV-Verbindungen gibt es wenige, und die sind auch noch unzuverlässig. Die polnische Regionalbahn von Frankfurt nach Zielona Góra beispielsweise fährt nur zweimal am Tag hin und zurück, aber meistens ist der Zug kaputt, und es bleibt der Ersatzbus. Oder der Eurocity, für den aber kaum spontan Tickets zu kriegen sind, weil man über die Grenze ja nur mit Reservierung fahren darf. Warum eigentlich?

Ach, und gegenüber vom Café hat jemand auf einem Plattenbaubalkon eine Russlandflagge aufgehängt.

Paddeln auf der polnischen Seite

Also doch besser schnell nach einem Sommerloch suchen. Bei den bunten Zauneidechsen im Garten verstecken? Oder an kleinen Badeseen im Umland, weil Helenesee und Słubicer Freibad gesperrt sind? Nein, der absolute Geheimtipp für echtes Sommerlochgefühl ist: Paddeln auf kleinen Oder-Zuflüssen auf polnischer Seite.

Da watet man viel durchs kühle Wasser, um Boote über Baumstämme zu ziehen, während sich das Flüsschen Pliszka durch tiefes Waldgrün windet. Dutzende Libellenarten begleiten die buchstäblich Wasserwandernden von Biwakplatz zu Fabrikruinen. Mücken und Bremsen verpassen den Beinen eine schicke Streuselkuchenoptik. Rote Pusteln als Andenken an den Ausflug ins kurze grüne Sommerloch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Peggy Lohse
freie Autorin
Jahrgang 1988, freie Autorin, wohnhaft in Frankfurt (Oder). Themenschwerpunkte: Gesellschaft und Kultur jenseits von Berlin in östlicher Richtung. In der taz erkundet sie monatlich die liebenswürdigen Widersprüche der deutsch-polnischen Oder-Grenzregion (Kolumne grenzwertig) und berichtet aus der Ukraine.
Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!