Videospielmesse E3 in Los Angeles: Hallelujah heißt hier Yeeeaaaaaah
Bei der E3 geht es um Games – und um die Konstruktion eines Konsumenten, der alles abfeiert. Zum Glück ist da noch ein Hai mit Mission.
Es ist wieder E3, Electronic Entertainment Expo, in Los Angeles. Wie jedes Jahr im Juni inszeniert die Videospiel-Industrie hier auf eigenen Bühnen ihre neuen Spiele. Es ist die wichtigste Videospielmesse der Welt. Das gesamte Jahr über arbeiten die großen Publisher an der Dramaturgie ihrer Shows. Entscheiden, was gezeigt wird und was nicht. Und versuchen alles so geheim wie möglich zu halten.
Die Fans gieren dagegen nach Leaks, vorzeitig und inoffiziell durchgesickerten Infos – die Firmen selbst fürchten sie. Sie möchten ihre Spiele nicht ohne Kontext dem Publikum vorstellen. Wollen selbst den Ort und die Staffage wählen, wo ihre Produkte angepriesen werden. Doch mindestens mit der gleichen Intensität , mit der sie hier ihre Spiele präsentieren, arbeiten sie daran, ihr intendiertes Publikum zu formen: die Gamer.
Es stimmt: Videospiele und die dazugehörige Industrie sind in den letzten Jahren etwas diverser geworden. In den Spielen tauchen durchaus Charaktere auf, die nicht weiß, nicht heterosexuell und nicht männlich sind.
Die Electronic Entertainment Expo, kurz E3, findet seit 1995 jedes Jahr im Juni in Los Angeles statt. Während die gamescom in Köln die größte Publikumsmesse für Videospiele ist, ist die E3 die wichtigste Messe für die Industrie. Hier werden neue Hardware und Spiele angekündigt, die dann in den kommenden Monaten in den Regalen landen sollen. Auf großen Bühnen finden zu Beginn der Messe die Pressekonferenzen statt, die als gigantische Shows inszeniert werden und als Livestreams von Hunderttausenden Gamern weltweit geschaut werden. Auch der Autor dieses Textes hat die Messe in den Streams verfolgt.
In diesem Jahr ist das erste Mal seit Beginn der Messe nicht Sony mit der PlayStation 4 vertreten – das Unternehmen ließ verlautbaren, man hätte nicht viel Neues zu zeigen. Momentan bereitet sich die Industrie auf den Beginn einer neuen Konsolen-Generation vor: 2020 sollen die PlayStation 5 und die nächste Xbox erscheinen. Viele Unternehmen setzen auf Abo- und Streaming-Dienste. Ob diese auch neue Spielideen mit sich bringen werden, bleibt abzuwarten.
Sogar Frauen!
Und auch auf den Bühnen der E3 2019 zeigen die Publisher, dass ihnen das sich ausdifferenzierende Publikum bewusst ist. So kamen etwa auf der Pressekonferenz des Publishers Bethesda endlich auch Frauen zu Wort, sogar eine Frau, die sich selbst dem LGBTIQ-Spektrum zuschreibt, wird gezeigt, darf sprechen. Klingt nach nicht viel beziehungsweise wenig, war aber lange Zeit durchaus nicht selbstverständlich.
Doch das laute, aggressive „Yeah“ gehört eben auch noch zu dieser Show. Es erschallt von einem Fan aus dem Publikum, immer wieder. Feiert das, was da auf der Bühne gezeigt wird: Spiele. Und die Menschen auf der Bühne quittieren es mit einem Grinsen: So wollen sie ihre Gamer, enthusiastisch, feiernd – Hauptsache, nicht zweifelnd.
Seit Anbeginn der Gaming-Industrie herrscht der „Konsolenkrieg“. Er besteht aus Fraktionen, Firmen also, die ihre Kund*innen darauf einstimmen, ihr Produkt zu verehren, bitte bedingungslos.
Und so gibt es Gamer, die Sonys „PlayStation 4“ stets verteidigen, Microsofts „Xbox One“ aber niemals anfassen würden. Die jedes Exklusivspiel der eigenen Firma bejubeln und es als Verrat verstehen, wenn es dann auf einer anderen Plattform erscheint.
PC oder Konsole?
Es ist auch eine Glaubensfrage, ob man auf PC oder Konsole spielt: eher auf dem Sofa vorm Fernseher oder auf dem Gaming-Stuhl am Schreibtisch? Lieber fertige Gaming-Maschinen oder selbst zusammengestellte Hardware? „PC Masterrace“ – ja, dieser Begriff wird, teilweise nicht mal ironisch, benutzt. Fans haben loyal zu sein, ihre Firmen sind ihre Glaubensgemeinschaft.
Die E3 ist eben eine Messe – nicht nur in dem Sinne, dass hier Produkte präsentiert werden. Sie ist es auch, da hier eine Gemeinschaft beschworen wird. Die Gemeinschaft der Gamer. Hört man genau hin, was auf den Bühnen unter den großen Scheinwerfern und den gigantischen Bildschirmen gesagt wird, fällt schnell auf, dass nicht zu Menschen gesprochen wird, die gerne Videospiele spielen. Es geht nicht nur um die Inhalte der Spiele selbst. Es geht um ein Flair, eine Atmosphäre, ein gewisses Surplus, das mit den Videospielen kommt: Es geht um Menschen, deren Leben sich wesentlich um Videospiele dreht.
Auf Videospiel-Messen wie der E3 werden nicht nur Produkte für Kunden präsentiert – die Kunden werden diskursiv gleich mitgeformt. Ihnen werden nicht nur Spiele geboten, sondern direkt auch Rollen, Haltungen. Wie sahen diese auf der E3 2019 aus?
Es sind, wie immer, viele Waffen. Es sind auch graue, dystopische Welten, Männer mit tiefen Stimmen, die bedeutende Dinge über Weltuntergang und -rettung sagen. Über das Ende von Zivilisationen und den Ausbruch von Gewalt. Eine Gewalt freilich, die eine Einladung an die Spieler*innen ist.
Das Übel der Welt
In „Watch Dogs: Legion“ etwa, das auf der Pressekonferenz von Ubisoft vorgestellt wurde, übernehmen die Gamer direkt die Rolle von ganz vielen Menschen. In einem London nach dem Brexit finden wir uns in einem gewalttätigen Polizeistaat wieder. Die Spieler*innen können nun die Kontrolle von beliebigen Passanten dieses digitalen Londons übernehmen. Sei es ein Hacker-Profi oder eine 70-jährige Großmutter. Gemein haben sie alle, dass sie irgendwann die Waffe ziehen. Der Gamer, der dieses Geschehen bald steuert, wird hier als aktive, aggressive Instanz konstruiert. Er erkennt das Übel dieser Welt und kämpft dagegen an. Er nimmt den Ruf des Publishers an: Kampf! Das ist bei „Halo: Infinite“ ebenso wie bei „Deathloop“ oder „Gears 5“. Die Liste ließe sich fortsetzen.
An Spielen mit Kampfschrei mangelt es dieser E3, wie auch keiner davor, also nicht. Es ist noch immer das geläufigste Thema: Gewalt, Katastrophe, Aufstand. Das machen Videospiele auch ziemlich gut, ziemlich unterhaltsam. Doch scheint inzwischen der Autopilot zu steuern. In jedem zweiten Game der E3 fliegen Drohnen über den Bildschirm. Programmierte Maschinen, loyal, gehorsam.
Vielleicht ist das auch ein wenig das Problem der Videospiele momentan. Die Industrie hat sich auf Messen wie dieser einen Typus Konsumenten geformt – und meint nun genau zu wissen, was dieser Gamer für den Rest seines Lebens spielen möchte. Ein Ausbruch scheint da kaum möglich.
Und wer auf etwas Stilleres steht? Im Laufe der E3 wurden auch solche Spiele präsentiert: „Spiritfarer“ etwa, in dem die Spieler*innen auf einem Schiff dabei helfen, die Seelen von Verstorbenen sicher ins Jenseits zu bringen. Doch während das Schiff schwamm, ging das Spiel in dem Getöse dieser Messe eher: unter.
Maneater
Ein neuer Schrei ertönt. Wieder rau, wieder frenetisch. Diesmal unterlegt er die Enthüllung der Special Edition des Spiels „Final Fantasy 7 Remake“. Eine Plastikfigur wird enthalten sein, der Preis wahrscheinlich astronomisch. Angekündigt wurde das Spiel 2015, erscheinen soll es 2020. Eine lange Zeit, die auf diesen Moment zielte: eine Special Edition, Konsum. Und: Yeeeaaaaaah.
Emotionen gibt es auf der E3 viele. Sie gehören zur Dramaturgie der Shows, sind Teil des Gamer-Gefühls. Doch meistens, so scheint es, brechen die Emotionen nicht wegen der Inhalte der Spiele aus. Nicht wegen dem, was sie erzählen wollen: Gesellschaftliches, Politisches, Emotionales. Die größten Jubelschreie erfolgen dann, wenn diese Spiele als Produkte gezeigt werden. Als käufliches Ding, mit dem der Gamer zeigen kann, dass er Teil von etwas ist. Von einer Firma, einer Konsole – etwas fast schon Metaphysisches, Sakrales. Eine Religion eben.
Jedes Jahr veranstaltet der Indie-Publisher Devolver Digital auf der E3 eine eigene kleine Show, in der diese gesamte pseudoreligiöse Videospiel-Industrie persifliert wird. Sie dekonstruieren das Marketing-Sprech der großen Firmen. Lassen noch mehr Blut fließen als alle anderen, zeigen noch mehr Möglichkeiten, sinnlos Geld auszugeben.
Und zeigen dabei oft wirklich interessante Spiele. Etwa „Maneater“, in dem die Spieler*innen einen Hai steuern, der sich dafür an den Menschen rächt, als Kind aus dem Bauch seiner Mutter geschnitten worden zu sein. Übrig bleiben nach dieser Dekonstruktion dann keine Gamer, sondern Menschen, die sich für Spiele interessieren. Für ein Medium, das vor allem eines bieten kann: Erfahrungen. Yeah.
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