: Videos bei der Stasi, Wanzen für den KGB
Tradition verpflichtet: Wo früher Oskar Schlemmers „Triadisches Ballett“ uraufgeführt wurde, kann man sich heute im Internet durch Pyramidenspiele klicken. Am Wochenende fand am Bauhaus Dessau das Medienfestival „Ostranenie 97“ statt ■ Von Tilman Baumgärtel
Die vier Männer auf der Bühne sehen aus wie ein paar fanatische Elektrotechnikstudenten. Mit konzentrierter Miene stehen sie hinter einigen physikalischen Versuchsgeräten und schrauben an ihren Computern, Mischpulten und anderer Elektronik herum. Aus den Lautsprechern auf der Bühne tönen sphärische Klänge, gelegentlich vermischt mit verzerrten Stimmen oder anderen Geräuschen. Ab und zu pluckern auch ein paar Takte lang Techno- Beats. Die Spielerei gehört zu einer Performance des Slowenen Marko Pelijan und des Deutschen Carsten Nicolai während des Medienkunstfestivals Ostranenie 97, das nun zum dritten Mal am Dessauer Bauhaus stattfand.
Nicolai und Pelijan wollen mit ihrer Performance zusammen mit den Musikern von „Rastermusik“ dem kraotischen Erfinder Nikola Tesla Tribut zollen. Tesla hatte Anfang des Jahrhunderts ein Manifest mit dem Titel „World System“ veröffentlicht, in dem er die Möglichkeit weltweiter Telekommunikation vorhersagte. Und plötzlich kommt in der Aula des Dessauer Bauhauses, dieser Weihestätte der europäischen Moderne, dort, wo Schlemmers „Triadisches Ballett“ und Moholy- Nagys abstrakte Filme uraufgeführt wurden, alles zusammen und paßt: die utopischen Vorstellungen Teslas und die inzwischen realisierte Möglichkeit globaler Echtzeitkommunikation im Internet; die Vereinigung von Kunst und Technologie, die am Bauhaus praktiziert wurde und die auch viele Arbeiten der Ostranenie prägt; und vor allem die zwanglose, unverkrampfte Kooperation von Künstlern aus West und Ost dort oben auf der Bühne.
Ausdrücklich will man auf dem Medienfestival Künstler aus den ehemaligen Ostblockstaaten vorstellen, die von der Kunstwelt Westeuropas bisher weitgehend ignoriert werden. Bei der diesjährigen documenta war kein einziger Künstler aus der früheren Sowjetunion vertreten, auch sonst gab es in Kassel so gut wie keine Arbeiten aus den Ländern des ehemaligen Warschauer Pakts zu sehen. Daß aus Osteuropa vor dem Zweiten Weltkrieg wichtige künstlerische und mediale Impulse ausgegangen waren, daran erinnerten bei der Ostranenie unter anderem eine Reihe von Vorträgen, die den Medienpionieren aus dem Osten gewidmet waren. Neben Tesla ging es auch um den Russen Lew Sergejewitsch Teremin, der 1920 das erste elektronische Instrument entwickelte – und später eine Wanze für den KGB baute.
Gerade das Bauhaus bietet sich nicht nur wegen seiner Lage unweit der polnischen Grenze dazu an, um osteuropäische Künstler in Deutschland einzuführen. Wäre im Vorlesungsverzeichnis des Bauhauses die Nationalität der Professoren so hervorgehoben worden wie im Katalog der Ostranenie, hätte dort zum Beispiel gestanden: Wassily Kandinsky (Rußland), Marcel Breuer (Ungarn) und László Moholy-Nagy (Ungarn). Viele ihrer Studenten kamen ebenfalls aus Osteuropa. Doch das selbstverständliche Miteinander, das in den zwanziger Jahren am Bauhaus praktiziert wurde, ist auch acht Jahre nach dem Fall des „antifaschistischen Schutzwalls“ noch nicht wieder zur Normalität geworden – um so bedauerlicher ist es daher, daß Ostranenie dieses Jahr zum letzten Mal stattgefunden hat.
Manche, wie der russische Internet-Künstler Alexei Schulgin, finden, daß sie im Westen noch immer wie „redende Affen“ betrachtet werden; bei anderen Festivalteilnehmern dachten die deutschen Behörden dagegen an potentielle Asylbetrüger, denen man nur widerwillig Einreisevisa erteilte. Schon die oft herablassende und generalisierende Klassifizierung als „Osteuropäer“ wollen sich viele Künstler aus dem ehemaligen Ostblock aber nicht länger gefallen lassen und sprechen darum lieber von „Deep Europe“.
Dort steht es in allen Ländern um die staatliche Unterstützung von Künstlern ebenso schlecht wie um den privaten Kunstmarkt. Wer nicht schon den Exodus nach Westen angetreten hat, ist darum auf die Förderung des Open Society Instituts angewiesen, einer Stiftung des Wallstreet-Milliardärs George Soros, die seit 1990 in fast allen osteuropäischen Staaten Dependancen eröffnet hat. Ihre Arbeit wird bereits als „Diktatur des guten Willens“ empfunden, aber wer im Osten nicht von „Onkel George“ unterstützt wird, kann der Kunst meist nur noch als Hobby neben einem Brotjob nachgehen.
Um so erstaunlicher, was in Dessau trotz dieser widrigen Bedingungen an Medienkunst zu sehen war. Die über hundert Videos, Installationen, Multimedia-Konzerte und Performances sind keine exotischen Mitteilungen aus einem immer noch weit entfernten Teil Europas. Wie schon beim Osnabrücker Medienfestival und der ars electronica fanden in Dessau einige der interessantesten Festivalbeiträge im Internet statt. Obwohl das erste Netzcafé schon wieder geschlossen hat, ist Festivalleiter Stephen Kovats davon überzeugt, daß gerade die „den elektronischen Medien innewohnenden Fähigkeiten, physische Grenzen zu überwinden“, dazu beitragen könnten, die Ost-West-Kluft zu beseitigen.
Dafür gab es bei der Ostranenie erste Beispiele: Der Litauer Gints Gabrans hat mit „Stairway to Heaven“ (http://www.parks.lov/ home/E-Lab/gints/NOT.htm) eine amüsante Parodie auf die Pyramidenspiele geschaffen, die in vielen Staaten Osteuropas populär sind. Und der Bulgare Petko Dourmana, der vor einem Jahr gerade mal wußte, wie man einen Computer anschaltet, hat mit „Metabolizer“ (http:/www.naturella.com/ metabolizer) einen Kommentar zum Körper im Zeitalter seiner genetischen Manipulierbarkeit programmiert. Wie eine Marionette kann man den Körper des Künstlers auf seiner Homepage bewegen oder mit Vitaminen und Anabolika aufpumpen und schrumpfen lassen. Jetzt versucht Dourmana, seine Professoren an der Kunstakademie in Sofia davon zu überzeugen, „Metabolizer“ als Abschlußarbeit im Bereich Bildhauerei anzuerkennen.
Daß der Medienkunst in den ehemaligen Ostblockstaaten früher enge ideologische und technische Grenzen gesetzt waren, daran erinnerte die Präsentation von Günther Petzold: In der DDR arbeitete zuerst die Stasi mit Video, lange bevor sich Mitte der achtziger Jahre auch Künstler mit dem nicht mehr ganz so neuen Medium beschäftigten. Das erste große Treffen von Videokünstlern aus Ost und West wurde schließlich von der geschichtlichen Entwicklung entwertet: Als es am 10. November 1989, am Tag nach dem Fall der Mauer, in Ost-Berlin stattfand, kamen keine Zuschauer mehr – die waren in West-Berlin zum Einkaufen.
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