Videokunst-Ausstellung in Bremen: Alles scheint deformiert

Mary Reid Kelley wird in Bremen gewürdigt. Es geht in ihrer Kunst um die Veränderung weiblicher Identitäten während des Ersten Weltkriegs.

Zwei blass geschminkte Gesichter mit abgedeckten Augen

Schaurig: Videostill aus Mary Reid Kelleys „You make me Iliad“ von 2010 Foto: Mary Reid Kelley

Die Figuren, Gegenstände und Interieurs in Mary Reid Kelleys Filmen wirken so, als wären sie gemalt. Für manches trifft dies auch zu. Was nicht gemalt ist, so wie etwa die Gestalten, die in ihren Kurzfilmen auftreten, ist in einer Weise angemalt, dass man es gleich ganz für Malerei hält.

Die Bremer Kunsthalle zeigt zurzeit mit „A Marquee Piece of Sod“ Filme, Zeichnungen und Requisiten der amerikanischen Künstlerin. Es ist die erste Museumsausstellung der 1979 geborenen Künstlerin in Europa. Noch dazu ein recht europäisches Thema, mit dem sie sich in ihren hier gezeigten Arbeiten auseinandersetzt: die Veränderung weiblicher Identitäten während des Ersten Weltkriegs. Die Schauplätze: England und das deutsch besetzte Belgien.

Zusätzlich zu ihren eigenen Arbeiten hat die Künstlerin aus der grafischen Sammlung der Kunsthalle Drucke von Käthe Kollwitz, Emil Nolde und anderen Künstlerinnen und Künstlern ausgewählt, in denen der Erste Weltkrieg Thema ist. In diesen Werken lassen sich stilistische Ähnlichkeiten zu Reid Kelleys Filmen finden. Es macht den Anschein, als seien die Arbeiten dieser zeitgenössischen Künstlerin zutiefst altmodisch. Auch die Sprache, die sie in ihren Texten verwendet, erinnert an Homer und Lewis Carroll.

Sie spielt alle Figuren selbst

Ganz besonders fühlt man sich beim Betrachten von Reid Kelleys Filmen an deutsche Klassiker der Zwischenkriegszeit wie Robert Wienes „Cabinett des Dr. Caligari“ (1919) oder Karl-Heinz Martins weit weniger bekanntem „Von morgens bis Mitternacht“ aus demselben Jahr erinnert. Filme wie diese trugen psychische Erschütterungen auf der Folie eines urbanen, gesellschaftlichen Durcheinanders zur Schau. Auch wenn der Krieg darin nicht direkt vorkommt, so sind seine Folgen auf mehr oder weniger subtile Weise Thema. Ganz anders in den Videos Reid Kelleys, die direkt während des Krieges spielen. Gemeinsam ist allen die Überlagerung dekorativer Jugendstilmotive durch expressionistische Verzerrungen.

Die Soldaten, Matrosen, Fliegerpiloten, Waffenfabrikarbeiterinnen und Feldprostituierten, die Reid Kelleys Filme bevölkern, wirken so, als seien sie gemalt. Dabei sind die Körper und Gesichter der Darstellerinnen – alle Figuren, auch die männlichen, spielt sie selbst – eher Leinwände als Bilder. Man hat zunächst das Gefühl, dass die Menschen hinter der weißen Schminke und den schwarzen Konturlinien um Nasen, Wangen und Brüsten zu verschwinden scheinen – dafür entstehen aus ihnen merkwürdige Gestalten.

Die finsteren Silhouetten kahler Bäume und krummer Türme, vor denen sie sich bewegen, sind genauso aufgemalt wie die schiefen Teller und Tassen in den Regalen. Alles scheint deformiert, doch hinter diese Deformation führt kein Weg mehr zurück. Das Deformierte ist so immer schon das Normale.

In ihren Filmarbeiten stellt Reid Kelley stets die Frage nach der weiblichen Identität. Dabei platziert sie ihre Figuren in historische Settings: Erster Weltkrieg, Französische Revolution und Industrialisierung. Es sind Phasen, in denen sich Gesellschaften neu ordnen, Menschen sich neu orientieren müssen – und mit den sozialen auch geschlechtliche Identitäten ins Wanken geraten. Gerade in solchen Situationen werden Aporien sichtbar: Gleichzeitigkeit von Macht und Machtlosigkeit, Gegenstand und Subjekt der Geschichte zu sein.

Vibrator zum Trost

Bereits im Sommer konnte man in Deutschland während der Berliner Festspiele Reid Kelleys Performance „This is Offal“ sehen, die sie gemeinsam mit ihrem Mann Patrick entwickelt hat. Man sah eine in der Pathologie aufgebahrte Frauenleiche und wohnte dem absurden Disput ihrer Organe über die Todesursache bei. In Bremen wird die Videofassung des Stücks gezeigt.

In „Camle Toe“ (2008) lässt Reid Kelley einen von sich selbst gespielten Weltkriegspiloten mit aufgemalten Bartstoppeln und weiblicher Stimme ein Klagelied auf seine Liebe anstimmen: „I’m the lover of two women / They are both my joy and pride / Both equals in their beauty/Ones’s my airplane, one’s my bride.“ Der nun meist mit dem Flugzeug in Kriegshandlungen verstrickte Mann schenkt seiner Frau daheim zum Trost einen kleinen silbernen Vibrator. Erschrocken stellt er fest, dass sie mit ihrem Spielzeug so zufrieden ist, dass sie an ihm alles Interesse verloren hat. Er aber bleibt von ihrem Begehren abhängig. In solchen Momenten bekommt der blutige Ausnahmezustand beinahe etwas Schönes.

In „You make me iliad“ von 2010 sucht ein poetisch veranlagter Soldat bei einer Prostituierten vergeblich nach Inspiration. Sie lehnt angewidert ab – es ist Krieg und sie hält die Verkennung als Muse für Gewalt.

Weibliche Identitäten, das wird hier schnell klar, haben maßgeblich mit Wunsch, Imagination und Begehren des männlichen Gegenübers zu tun. Dabei reduziert die Künstlerin ihre Frauenfiguren nicht auf den Opferstatus. Als Begehrte und mit Wunschvorstellungen besetzte, haben diese Frauen auch eine gewisse Macht – ohne, dass dabei ihr Leid negiert wird.

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