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Video zeigt toten Higgins

■ Entführer von amerikanischem UN-Offizier im Libanon machten Ultimatum angeblich wahr / Israels Verteidigungsminister Rabin schlug Ringtausch vor

Beirut/Tel Aviv (afp/taz) - Der Vorschlag des israelischen Verteidigungsministers Jitzhak Rabin nach einem Ringtausch kam offenbar zu spät. Gestern wurde der libanesischen Tageszeitung 'An Nahar‘ eine Videokassette zugespielt, die den entführten amerikanische UN-Offizier Richard Higgins zeigt: Er hängt mit gefesselten Händen und Füßen an einem Strick, der ihm um den Hals gebunden wurde. Der Kassette lag ein Bekennerschreiben der „Organisation der Unterdrückten der Erde“ bei. In dem Begleitschreiben wurde erneut die Freilassung Scheich Obeids verlangt. Sollte diese Forderung ignoriert werden, werde noch Schlimmeres geschehen, wofür die USA und Israel die Verantwortung zu tragen hätten. In der zyprischen Hauptstadt Nikosia meldete sich inzwischen ein anonymer Anrufer und sagte, die „Unterdrückten der Erde“ hätten die Leiche von Higgins hinter dem St.Joseph -Krankenhaus in Westbeirut deponiert. Syrer hätten die Leiche geborgen. Der Anrufer drohte mit einem weiteren Geiselmord. Wenn Obeid nicht bis Dienstag nachmittag frei sei, werde dem anglikanischen Geistlichen Terry Waite am Nachmittag „genau zur gleichen Zeit dasselbe passieren“ wie Higgins.

Die Untergruppe der pro-iranischen Hizbollah hatte die Verantwortung für die Entführung Higgins im Februar 1988 übernommen und im Dezember letzten Jahres bekanntgegeben, Higgins sei als Spion zum Tode verurteilt worden. Daher besteht auch die Möglichkeit, daß der UN-Offizier in Wirklichkeit bereits vor Monaten umgebracht wurde.

Die israelische Regierung hatte das Ultimatum ungenutzt verstreichen lassen - offensichtlich, weil sie sich nicht den Anschein geben wollte, „erpreßbar“ zu sein. Fünfzig Minuten später erklärte Rabin, „alle israelischen Gefangenen und die ausländischen Geiseln, die von schiitischen Organisationen festgehalten werden“, sollten gegen alle schiitischen Häftlinge in Israel aus Fortsetzung auf Seite 2

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getauscht werden. Rabin bot an, neben Obeid auch den im Dezember verschleppten libanesischen Schiitenführer Djawad Katsfi freizulassen. Die Zahl der libanesischen Gefangenen in Israel wird auf 50 bis 60 geschätzt. Zu der Gruppe, die von einem solchen Austausch profitieren würde, zählen neben den westlichen Geiseln im Libanon auch drei israelische Soldaten, die von der Schiiten-Organisation Hizbollah gefangengenommen wurden. Von den elf libanesischen Juden, die zwischen 1984 und 1986 entführt wurden, soll lediglich noch Selim Jamous am Leben sein und sich auch in den Händen der „Unterdrückten der Erde“ befinden. Ein möglicher Austausch, so Rabin, könne über das Rote Kreuz abgewickelt werden.

Israel und die USA hatten Hizbollah und den Iran vor einer Ermordung

Higgins gewarnt und mit scharfen Reaktionen gedroht. Die israelischen Truppen im Südlibanon wurden in Alarmbereitschaft versetzt. Die Regierung in Jerusalem und die US-Administration stehen in engem Kontakt, um ihr Vorgehen zu koordinieren. Israelischen Berichten zufolge haben die USA um eine sowjetische Intervention in Teheran gebeten. Außenminister Schewardnadse traf Rundfunkberichten zufolge gestern in der iranischen Hauptstadt zu einem offiziellen Besuch ein. Israel und die USA setzen offenbar darauf, daß die iranische Regierung nach der Wahl von Parlamentspräsident Rafsandschani zum Präsidenten Interesse an einer Verbesserung der Beziehungen zum Westen hat.

Im Iran fielen unterdessen unterschiedliche Äußerungen zu der Obeid/Higgins-Affäre. Hardliner und Innenminister Ali Akbar Mohtaschemi rief Hizbollah auf, ihre Angriffe gegen israelische und amerikanische Interessen zu verstärken.

Demgegenüber erklärte der iranische Außenminister Ali Akbar Velayati zu dem Ultimatum vom Sonntag: „Wir haben nichts mit der Drohung gegen Higgins zu tun. Dennoch verurteilen wir jede Entführung und Todesdrohung.“

Derzeit sprechen alle Anzeichen dafür, daß es sich in der Geiselfrage um ein zwischen den betreffenden Ländern koordiniertes Vorgehen handelt. Dafür spricht zum einen der Vorschlag Rabins, der nicht nur den Austausch der drei gefangenen Israelis, sondern aller westlicher Geiseln im Libanon vorsieht. Auch das „arbeitsteilige“ Vorgehen im Libanon beziehungsweise gegenüber dem Iran deutet in diese Richtung. In Israel heißt es, daß Amnon Shachak, der Chef des israelischen militärischen Geheimdienstes, vor zehn Tagen in London gewesen sei. Gleichzeitig habe sich der Berater von Ministerpräsident Jitzhak Shamir in Terrorismusfragen, Jigal Carmon, in den Washington aufgehalten.

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