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Verzögerte Phantastik im All

■ Die meditative Weltraum-Dokumentation Out of the Present

Ende 1979 kam es für eine Sendung des sowjetischen Fernsehens zu einer Begegnung von Kosmonauten und Science-Fiction-Autoren. Dabei warf der Kosmonaut Georgi Gretschko die Frage auf, wie lange sich die Erschließung des Kosmos ohne die Phantastik verzögert hätte. Er gab auch gleich die Antwort: „Ich bin sicher, daß das Vordringen in den Weltraum fünfzehn Jahre später erfolgt wäre.“

Zwei kurze Verweise auf die großen SF-Vorbilder 2001 – Odyssee im Weltraum und Solaris in Andrei Ujicas Dokumentation Out of the Present müssen wohl als Unterstützung dieser These verstanden werden. Ästhetisch sind die Filmzitate allerdings eher störend, denn ohne sie hätte dies das erste Weltraum-Leinwandabenteuer sein könnne, das ganz ohne Tricktechnik auskommt.

Es macht den besonderen Reiz des Films aus, daß praktisch alle Aufnahmen mit gewöhnlichen Video- oder 35-Millimeter-Kameras entstanden sind. Ujica läßt dem Zuschauer viel Zeit, in die fremde Welt der russischen Raumstation Mir einzutauchen. Minutenlang schwebt das glänzende Metallgebilde mit seinen ausgebreiteten Sonnenkollektoren vor dem Hintergrund der Erdoberfläche, kommt langsam näher. Wir begreifen allmählich: Das ist echt, nicht gestellt. So erleben die Kosmonauten das Ankopplungsmanöver.

Solche meditativen Sequenzen sind neben den Einblicken in den Raumstations-Alltag die Glanzpunkte von Out of the Present. Die Geschichte, die Ujica mit diesen Bildern außerdem noch zu erzählen versucht, fällt dagegen deutlich ab. Im Mittelpunkt steht der Kosmonaut Sergej Krikaljow, der während des Moskauer Putsches im August 1991 angeblich auf der Mir vergessen worden war. Der Film entlarvt das als reine Legende. Krikaljows um fünf Monate verlängerter Aufenthalt in der Umlaufbahn hatte andere Gründe. Richtig ist jedoch, daß er als Bürger der Sowjetunion gestartet war und als russischer Staatsbürger zur Erde zurückkehrte.

Die Aufnahmen vom Putsch sind teilweise durchaus packend. Dennoch stören diese Verweise auf die Politik, ähnlich wie die Spielfilmzitate. Dieser Vorwurf trifft allerdings weniger den Filmemacher als die Realität. Out of the Present gibt eine Vorstellung davon, wie unglaublich schön es sein muß, aus dem All auf die Erde zu blicken und zu wissen, dort ist nicht alles in Ordnung. Dorthin kann ich jederzeit zurückkehren.

Hans-Arthur Marsiske

Abaton

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