Störzeile: Verzeih mir
■ Endlich hält sie auch in Hamburg Einzug: die politische Entschuldigungskultur
Alle haben sich entschuldigt im vergangenen Jahr: Kohl für Spenden; Schäuble für Herrn Schreiber; Merkel für alles; Karol Woytila für den Katholizismus im Allgemeinen. Allein die Hamburger Politik zierte sich bislang. Das ändert sich nun.
Schon in wenigen Tagen wird sich Ortwin Runde zu Wort melden und bekennen, er habe festgestellt, dass es „in Hamburg durchaus Faserverbände aus nicht gesponnenen Tierhaaren“ – der Staatsmann meint damit Filz – gebe und er das bedauere. Auch sein Wirtschaftssenator Thomas Mirow kriecht kleinlaut zu Kreuze und bittet den Mühlenberger Wachtelkönig um Verzeihung: „Es tut mir sehr leid, dass ich diesem Vögelein so viel Unbill bereitet habe.“
Am längsten wird sich Ronald Schill entschuldigen. Sein Bekenntnis, „in der Vergangenheit häufiger überzogen geurteilt zu haben“, zieht sich über zweieinhalb Jahre ohne Bewährung hin. Er wolle in Zukunft „differenzierter an die Sachen herangehen“. Daher bleibe ihm im kommenden Jahr keine Zeit für einen Wahlkampf. Außerdem: „Ich habe festgestellt, dass Mietrecht auch irgendwie interessant ist.“
Eugen Wagner entschuldigt sich ganz universell für den Zustand der Radwege und Straßen der Stadt. Die GAL möchte wieder eigenständig Politik machen, in der Folge kommen die Regenbögler reumütig zurück. Ole von Beust bittet wegen seiner Frisur um Verzeihung.
Am 23. September, dem Wahlsonntag, bekennen alle, dass sie einander lieb haben, und feiern weinend die ganz große Koalition. Nur schade, dass sich für diese Lügengeschichte entschuldigen muss: Eberhard Spohd
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen