piwik no script img

■ Verwundert schaut die Welt auf das geklonte Schaf Dolly. Doch diese Entwicklung kündigt sich schon seit 20 Jahren anWarum guckt wieder kein Schwein?

Jetzt ist sie wieder da, die große Stunde der Ethik-AktionistInnen. Aber die ausdauernd vorgetragene Wiederholung, eine Übertragung auf den Menschen dürfe nicht stattfinden, ist weniger naiv als verwerflich. Zynisch klingt, wer jede Rationalisierung fördert und dann Arbeitslosigkeit bedauert. So verlieren Menschen, die jegliche technische Manipulation am Tier forcieren, auch deshalb ihre Glaubwürdigkeit, weil ihre Ethik erst bei der eigenen Spezies beginnt. Denn wehe: Wer Machenschaften am Tier kritisiert, an deren Ende vielleicht einmal ein Medikament für den Menschen stehen könnte, der will den Untergang des Abendlandes und ist für Pest, Aids und den Tod gleich mit verantwortlich.

Übertrieben? Dann waren Sie im letzten Monat nicht bei Jens Reich. Der Molekularbiologe sollte im Vorfeld der Expo 2000 über die „Chancen und Risiken der Gentechnik“ referieren und hub an: „97 Prozent von Ihnen hier im Saal gäbe es gar nicht.“ Die Auflösung für die Verdutzten hatte zwar nichts mit Gentechnik zu tun, folgte aber umgehend. Die Bekämpfung von Pocken und Malaria sowie die Entwicklung der Antibiotika sei ohne die moderne Technik gar nicht möglich gewesen. Das gibt uns einen Ausblick auf das neue alte Niveau der nun beginnenden Diskussion. Was die serielle Vervielfältigung für die heute doch schon namenlosen Tiere bedeutet, interessiert sowieso wieder kein Schwein. Denn mit der Distanzierung von der Anwendung am Menschen ist für die Manipulation am Tier die Absolution bereits erteilt.

Mit „Dolly“ sollen vorerst die eigenen Schäfchen ins Trockene gebracht werden. Denn das ist bisher ein riesiges Verlustgeschäft, weil nur wenige Tiere die Manipulation überleben. Die neue Klon- Technik soll nun die schlechten Ergebnisse der Genmanipulation kompensieren. Aber noch ist das Klonen auch beim Schaf keine Routine: Nur einer von 277 Versuchen klappte – „Dolly“.

Die Schnittstelle in der biotechnischen Forschung zwischen Tier und Mensch könnte seit über 20 Jahren kaum größer sein: Bei einem der Vorreiter dieser Techniken am Tier, Prof. Joachim Hahn, hatten die geistigen Väter des ersten sogenannten Retortenbabies Mitte der 70er Jahre den Embryotransfer beim Rind erforscht. Hahn beschwor später seine tierärztlichen KollegInnen bezüglich weiterer Manipulationen, das sei „ausschließlich Grundlagenforschung“, es sei daher „absurd, an eine Verwendung beim Menschen zu denken“.

„In der Tiermedizin alles schon Routine“, lautet dagegen eine verbreitete Beschwörungsformel anläßlich moralischer Skrupel in der Humanmedizin. Das ist mitnichten als Warnung gemeint, sondern demonstriert Machbarkeit – was wir beim Tier im Griff haben, bekommen wir auch beim Menschen hin.

Der historische Dammbruch für die Geschichte der Fortpflanzungsmedizin ist die Eientnahme aus weiblichen Lebewesen, die Voraussetzung für die In-vitro- Fertilisation, die Im-Glas-Befruchtung (IVF). Seitdem sind Eier im Glas technisch verfügbar. 1996 wurde die IVF beim Menschen volljährig. Luise Brown ging 1978 als „erstes Retortenbaby“ in die Geschichte der Reproduktionsmedizin ein.

Geklonte Menschen – Horror der einen, Wunschtraum der anderen. Lange galten menschliche Klone als Stoff für die Feuilletonseiten, derweil in den Wissenschaftsredaktionen die tierischen Fortschritte gefeiert wurden. Es gibt heute keinen Grund, sich zu wundern: Die einschlägigen Forschungen wurden zielstrebig vorangetrieben und haben sukzessiv zu „Dolly“ geführt.

In „Die programmierte Vererbung“ räsonierte die Gynäkologin Prof. Lieselotte Mettler über Klontechniken beim Menschen und „Qualitätskontrolle für Embryos“: „Der identische klonierte Embryo könnte als Gebrauchsmuster zur Untersuchung des genetischen Codes dienen.“ Je nach Untersuchungsergebnis könne dann der „Bruder oder die Schwester des Klons“ in die Gebärmutter eingepflanzt werden oder nicht. 1993 machte der Amerikaner Jerry Hall aus über 20 menschlichen Embryonen künstlich Zwillinge. „Dolly“, das Klonen eines erwachsenen Säugetiers, ist nun der letzte Quantensprung auf diesem Gebiet.

Das Selbstverständnis heutiger Hightech-Forschung läßt sich auf einen kurzen Nenner bringen: Grenzen sind dazu da, durchbrochen zu werden. Das Leben, den Tod in den Griff kriegen. So buchstabieren sich wissenschaftliche Allmachtsphantasien. Die ersten Gläubigen hatten sich bereits vor Jahren einfrieren lassen. Und schon melden sich bei den schottischen Schaf-Forschern Menschen zum sofortigen Klonen, die hoffen, für ihren Wunsch vom ewigen Leben nun nicht eingefroren werden zu müssen.

Laut Süddeutscher Zeitung ist „ein schneller Tod“ der größte Wunsch des Deutschen. Das könnte sich ändern. „Es wird geschehen. Keiner kann es mehr stoppen. Wir werden das Leben verlängern“, prophezeit angesichts 48 Stunden alter manipulierter Eintagsfliegen der Gerontologe Michael Rose. „Als nächstes schaffen wir ein langlebiges Säugetier. Die Maus wird der Schlüssel zum menschlichen Altern sein.“

Zwar muß mensch nicht bei jeder Errungenschaft in der tierischen Forschung mit dem Homunkulus drohen. Aber diesmal sind es die Macher selber, die an der Übertragbarkeit der neuen Klon- Technik auf den Menschen keinen Zweifel lassen. Beschränkten sich mögliche Manipulationen bisher auf Nachkommen, steht nun die Sterblichkeit bzw. Unsterblichkeit der eigenen Zellen zur Disposition. Forever young? Als hätten wir noch keine Krise des Individuums. Der Versuch, den Abschied vom eigenen Ich hinauszuzögern oder gar zu verhindern, führt letztlich zum endgültigen Abschied vom eigenen Ich.

Als die IVF-Technik 1979 aus der Tierzucht übernommen wurde, schien dies lediglich befremdlich, aber nicht als Herausforderung für die menschliche Ethik. Heute machen für mich Meldungen über den Organklau an Kindern in Südamerika die kriminelle Energie zumindest denkbar, die zur Herstellung eines lebenden Ersatzteillagers aus eigenen Zellen in einer Leihmutter notwendig ist. Noch hat die Nobelpreisträgersamenbank als Sex-Ersatz Konjunktur. Noch ist die vaterlose Gesellschaft Fiktion. Die neue Technik ähnelt aber der Parthenogenese und könnte Begehrlichkeiten auch im weiblichen Lager wecken. Zumindest ist das Geschlecht des Doubles vorherbestimmbar. Ich befürchte merkwürdige Koalitionen. Anita Idel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen