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Verwundbarkeit des Thrillers

Schönste Hoffnungslosigkeit: Der neue Fall des schwedischen Kriminalkommissars Kurt Wallander lappt ins Globalisierungsskeptische aus – Henning Mankells Computerterrorkrimi „Die Brandmauer“

von DIRK KNIPPHALS

Hier kommt ein typischer Wallander-Satz: „Der schwedische Rechtsstaat verwandelt sich in ein muffiges Lagerlokal, an dessen Wänden sich die Stapel unaufgeklärter Verbrechen türmen.“ Gleich noch eine Stelle oben drauf: „Es kam ihm vor, als existierten nicht nur in der Welt der Computer Firewalls. Er hatte auch eine Brandmauer in sich selbst. Von der er nicht immer wusste, wie er sie überwinden sollte.“ Und den folgenden Satz, ein wahres Prunkstück, sollte sich Henning Mankell patentieren lassen, fasst er doch auf denkbar knappem Raum das zusammen, was er in seinen Wallander-Büchern in aller Ausführlichkeit ausgebreitet hat: „Ich sehe eine Gesellschaft, die um mich her zerfällt.“ So steht es im neuen Wallander-Roman „Die Brandmauer“; ein Credo, das für die gesamte Reihe gilt.

Warum liest man so etwas? Und, schlimmer noch, warum stellt sich, während man so etwas liest, beinahe automatisch dieses behagliche Schmökergefühl ein? Wobei noch etwas erschwerend hinzukommt: Man wäre ja geradezu enttäuscht, wenn der Plot tatsächlich raffiniert konstruiert wäre, wenn man wirklich einmal einen überraschenden Dialog vorfände oder auch nur eine Beschreibung, die einen sprachlichen Eigenwert gewinnt. Nee, nee, so etwas will der aufgeklärte Wallander-Konsument gar nicht. Er will, dass Kurt Wallander und seine Leute von der schwedischen Kriminalpolizei in Ystad an sich und der Welt leiden; und er will ihnen in einer bequemen Halbdistanz dabei zuschauen.

Diese Qualität geschickter Kolportageliteratur hat Mankell wieder gut hingekriegt. Schön übersichtlich überblicken die Leser das Geschehen immer einen Schritt weiter als die Figuren; eine Benutzerfreundlichkeit, die zumindest auch die vorangegangenen Bücher „Die fünfte Frau“ und „Mittsommermord“ auszeichnete. Sorgfältig bereitet Mankell jede Wendung sowohl vor als auch nach. Und gleich in seiner ersten Szene sieht man Kurt Wallander auf einer trostlosen Beerdigung irgendwo in Südschweden. An dem Toten hat selbst der Pastor kein Interesse, nur nach ausdrücklicher Aufforderung lässt er die Kirchenglocken läuten. Eine Szene, die mit dem eigentlichen Fall rein nichts zu tun hat. Als Exposition taugt sie dennoch vorzüglich: Hier ist er wieder, unser Kommissar inmitten einer Welt voller Gefühllosigkeit und Einsamkeit, Depression und Regentagen. Und siehe, schon ist alles klar in schönster Hoffnungslosigkeit. Los kann es gehen mit den nächsten 600 Seiten in Moll.

Wobei der aktuelle Fall gar nicht wie die vorangegangenen den Niedergang des schwedischen Sozialsystems begleitet, sondern ins Globalisierungskritische auslappt. Er dreht sich um einen Terroranschlag aus der Zeit, als noch Computerviren und nicht Flugzeuge die avanciertesten Waffen waren; auf Schwedisch ist das Buch 1998 erschienen. Dem Weltfinanzsystem soll der Garaus gemacht werden. Ihre gesteigerte Komplexität, so heißt es irgendwo, hat die Welt immer verwundbarer gemacht. Eine Verwundbarkeit, wohlgemerkt, die sich tief ins Innere jeden einzelnen Menschen gesenkt habe. Und weil es so schön zeigt, dass die globalisierte Welt überall hinreicht, auch nach Ystad, hängt im neuen Buch alles irgendwie mit allem zusammen, betrunkene 14-Jährige in Ystad mit der schlechten Entwicklungshilfepolitik der Industrienationen, veganische Tierschützer mit unscheinbaren Computerterroristen.

Diese Totalität der Weltschlechtigkeit hat den Vorteil, dass Mankell nicht jeden seiner ausgesucht schrecklichen Einfälle auch noch detailliert motivieren muss. Wenn etwa, wie es hier geschieht, eine Leiche entwendet wird, ihr zwei Finger abgeschnitten werden und sie tags darauf einfach nackt wieder an den Ort des Todes zurückgelegt wird, dann braucht Mankell dieses seltsame Verhalten gar nicht zu erklären. Irgendwas wird dieser exquisite Grusel schon mit dem Fall zu tun haben.

Wahrscheinlich – hoffentlich! – tut man ja den meisten Wallander-Lesern durch die Behauptung bitter Unrecht, sie würden die grobschlächtige Alles-wird-immer-schlimmer-Gesellschaftskritik, die Mankell auch im neuen Roman wieder zelebriert, für bare Münze nehmen. Zumindest aufgeklärte Mankell-Leser werden inzwischen gelernt haben, die Reihe wie ein Markenprodukt zu benutzen. Man weiß, was man an ihr hat, und tut sich das neue Buch rein, so wie man sich, wenn draußen die Tage kälter werden, ein pflegendes Entspannungsbad einlaufen lässt.

Eins muss man allerdings tatsächlich an diesem Autor bewundern: die Chuzpe, mit der er gesellschaftskritisches Kolorit benutzt, um die übrigens auch verwundbaren Gesetzmäßigkeiten des Thrillers zu dehnen. Wallanders Hauptgegenspieler beschreibt er etwa vorbereitend in mehreren umfangreichen Szenen, verteilt auf hunderte von Seiten, nur um ihn – Achtung, wir verraten das Ende – innerhalb von wenigen Zeilen bei einem banalen Shoot-out sterben zu lassen. Das liest sich schon wie eine Persiflage auf einen richtigen Thriller. Zumal insgesamt ein paar Zufälligkeiten zu viel die Handlung vorantreiben.

Mag auch sein, dass mittlerweile das Wallander-Prinzip selbst an ein Ende gekommen ist. Es bestand darin, den Weltekel eines Polizisten in der permanenten Lebenskrise mit einem calvinistischen Blick auf die Schlechtigkeit der Gesellschaft zu koppeln und mit Thrillerelementen zu verquirlen. Demnächst, so ist es angekündigt, wird Wallander zurücktreten und seine Tochter wird Polizistin werden. Mal schauen, woran sie so leiden wird. Das Entspannungsbad wartet schon.

Henning Mankell: „Die Brandmauer“. Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt. Zsolnay Verlag, Wien 2001, 576 Seiten, 49,80 DM

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