Verweiblichung des Politikjournalismus: Abrüsten mit Angela
Hauptstadtjournalismus ist eine Männerdomäne. Doch plötzlich reden bei der Bundespressekonferenz auch die Frauen. Wird die politische Kommunikation mit Merkel weiblicher?
Kanzler und Kanzlerinnen kommen nicht jeden Tag in die Bundespressekonferenz, um sich stundenlang den Fragen der Medien zu stellen. Deshalb herrschte auch am Dienstag großes Gedrängel im Saal des hauptstädtischen Journalistenvereins, als Angela Merkel um zwölf Uhr Mittag erschien und neben dem Vorstandsmitglied der Bundespressekonferenz (BPK), Antje Sirleschtov, Platz nahm.
Dass Merkel dann wenig Neues zu sagen hatte - 2008 als "Schlüsseljahr" und so weiter - stand später in allen Zeitungen. Und doch war etwas neu an dieser Pressekonferenz: Nicht nur redeten vorn mit Merkel und Sirleschtov ausschließlich Frauen. Auch aus der mehrhundertköpfigen Menge der Journalisten meldeten sich verblüffend viele Frauen zu Wort. Wie Sirleschtovs Liste später verriet, kamen zehn der 54 Fragen von Journalistinnen.
Das ist für die Verhältnisse der BPK und des politmedialen Hauptstadtbetriebs ausgesprochen viel, ja geradezu eine Sensation. Denn zwar sind rund ein Viertel der 930 BPK-Mitglieder weiblich - mit seit Jahren ganz leicht ansteigender Tendenz -, doch ist dies sonst kaum spürbar. Zeigte der Dienstag also endlich die Verweiblichung der politischen Kommunikation, über die schon so viel gemutmaßt wurde seit Merkels Regierungsantritt?
Nicht nur quantitativ hatte sich etwas verschoben in der Geschlechterpolitik vor der blauen Wand der BPK. Sondern auch im Stil. Die zweite Frage ging am Dienstag an eine Kollegin von der Auslandspresse, eine Kolumbianerin, die sich nach Merkels Meinung zu einem Vorstoß des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez erkundigte.
Das war nun eine berechtigte Frage. Andererseits hat bei der Hauptstadtpresse die Innenpolitik grundsätzlich Vorrang. Prompt entstand Unruhe im Saal. Doch ebenso unerschüttert wie unbestimmt ging Merkel auf die Fragerin ein und schob freundlich nach: "Und im übrigen freue ich mich auf meine Lateinamerikareise."
Was für ein Unterschied zu Gerhard Schröder. Der damalige Bundeskanzler gab im September 2004 eine Pressekonferenz im spätsommerlich aufgewärmten Bonn, wo sein Kabinett ein Wochenende lang getagt hatte. Hier meldete sich relativ früh eine Journalistin aus Saudi-Arabien und bat um eine Auskunft zum anstehenden Besuch des irakischen Präsidenten. Schröder stellte seine Miene auf Hohn und Verachtung, mittlere Dosis, und fertigte die Frau ab: "Auf der Tagesordnung beim Besuch des Präsidenten des Irak steht die Lage im Irak." Welche Hilfe der Irak zu erwarten habe, das sage er "erst dem Präsidenten und dann Ihnen." Deutlich war das Kichern des männlichen journalistischen Kanzlertrosses zu hören. Man bewunderte den Kanzler für seine charismatische Unhöflichkeit gegenüber Unterlegenen.
Dass Merkels Kommunikation nicht über Einschüchterung funktioniert, liegt auf der Hand, fühlt sich aber nach sieben Jahren Aggressionstraining mit Gerd trotzdem noch überraschend an. Hilft Abrüstung mit Angela also den Frauen im Berliner Medienkosmos ans Mikro?
Eine kleine statistische Auswertung der Protokolle der großen Schröder-Pressekonferenzen zeigt, dass unter den namentlich und damit geschlechtlich identifizierten Fragestellern in der Regel etwa eine Frau war. Ein Regierungswechsel später: Das Protokoll von Merkels erster Sommer-Bilanz-Pressekonferenz vom August 2006 verzeichnet keine einzige Frau. Ganz anders allerdings schon im Jahr darauf, bei Merkels Bilanz-PK im Juli 2007: sechs Frauen, davon zwei unter den ersten zehn - fast schon sagenhaft.
Antje Sirleschtov, Tagesspiegel-Redakteurin und seit gut einem Jahr im Leitungsgremium der BPK, bestreitet jedoch die Existenz eines Merkel-Faktors. Sirleschtov bemerkt zwar ein gewachsenes Selbstbewusstsein der wenigen aktiven Journalistinnen in der BPK. "Aber das hat eher damit zu tun, dass die Frauen sich in die so genannten harten Bereiche, die Finanz- und Haushaltspolitik, vorgearbeitet haben", sagt sie. Die Merkel-Pressekonferenz am Dienstag, die sie moderiert hatte, sei im übrigen eher untypisch gewesen.
Doch müssen sich die beiden Faktoren ja nicht ausschließen. Erstens hat der Anteil der Journalistinnen in den harten Ressorts der Hauptstadtpresse zugenommen. Zweitens hat der Wechsel von Schröder zu Merkel das Kommunikationsverhalten in der Bundespressekonferenz verändert. Zwar sind die Jungs aus dem Kanzlertross noch da, dominieren selbstverständlich weiter das Feld, heben als Erste die Hände. Möglicherweise aber ist es genau so einfach, wie es klingt: Redet vorn eine Frau, reden auch die Frauen im Publikum. Wenn sich demnächst dann ganz viele solcher untypischen Ereignisse aneinander reihen sollten, könnte man am Begriff des Typischen noch einmal arbeiten.
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