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Vertrauensfrage Jahrelang haben sie gehetzt gegen alles, was in ihren Augen nicht deutsch ist, haben Hass geschürt und womöglich Gewalttaten begangen. Nun wollen sie plötzlich von all dem nichts mehr wissen, treten vielleicht sogar als reuige Sünder auf. Wie sollen wir mit Aussteigern aus der rechten Szene umgehen?▶ Schwerpunkt SEITE 43–45Wer hat Angst vor Ex-Nazis?

von Andreas Speit

Kein Sex mit Nazis: Marschieren Rechtsextreme auf, laufen sie oft an Transparenten mit diesem Satz vorbei. Diese Aufforderung, sich um jeden Preis zu distanzieren, sorgt schon bei aktiven Rechtsextremen immer wieder für Diskussionen. Aber wie ist es bei Aussteigern aus der rechten Szene? Welche Perspektiven muss eine offene Gesellschaft ehemaligen Rechtsextremen ermöglichen oder gilt schlicht: Einmal Nazi immer Nazi?

Der Leiter vom Zentrum Demokratische Bildung Wolfsburg, Reinhard Koch, hat da eine klare Haltung: „Es muss für jeden einzelnen Ausstiegswilligen eine individuelle Perspektive jenseits der rechtsextremen Szene geben.“ Er glaubt daran, dass jeder Mensch sein Verhalten reflektieren und dann sein Denken und Handeln ändern kann. Aber dafür müssten bestimmte Voraussetzungen geschaffen werden, sagt Koch, der mit seinem Team Jugendliche und Erwachsene dabei begleitet, die rechte Szene zu verlassen.

Doch eine rechte Vergangenheit hinterlässt tiefe Spuren. Namen tauchen in einschlägigen Büchern, Broschüren oder auf Internetseiten auf. Diese dokumentierte rechte Vergangenheit kann die berufliche Zukunft nach dem Ausstieg aus der Szene erschweren. Darum haben sich in den vergangenen Jahren immer wieder Menschen mit der Bitte an das Zentrum Demokratische Bildung gewandt, ihre Namen mögen aus den Schriften gelöscht werden. Dem Wunsch nach dem Ausradieren dieser Spuren kommen Koch und seine Leute aber nicht ohne den Beweis eines radikalen Bruchs mit der rechtsextremen Biografie nach. Aber letztlich ist und bleibt es eine Frage des Vertrauens.

Ein Indiz für die Glaubwürdigkeit von Aussteigern findet sich in der Sprache. Die Soziologin Johanna Sigl hat für ihre Dissertation „Biografische Wandlungen ehemals organisierter Rechtsextremer“ stundenlange narrative Interviews mit Aussteigern geführt und dabei fiel ihr eine Besonderheit auf. Aussteiger sprechen über ihren Anfang in der Szene im Passiv, distanzieren sich so von sich selbst und der eigenen Geschichte. „Man hat dann Rechtsrock gehört, man hat an Aufmärschen teilgenommen“ seien die gängigen Formulierungen, sagt Sigl. Das soll ausdrücken, dass man in die Szene so hineingerutscht sei, die eigene Rolle als aktiver Part werde so relativiert.

Erst wenn sie von ihrem Ausstieg erzählen, wechselten sie zur aktiven Formulierung – dann machen sie, entscheiden sie, handeln sie. Der Ausstieg wird also als bewusste Entscheidung kommuniziert. Insofern drücke die Wortwahl auch aus, wie weit der Distanzierungsprozess schon gegangen sei oder eben noch nicht, sagt Sigl. Aber die Sprache kann auch nur ein Indiz sein.

Wer einmal in der rechten Szene aktiv war, ist auf das Vertrauen der anderen angewiesen. Ein Beispiel von einer Hamburger Grundschule zeigt, wie schwer das ist und wie tief sich eine rechtsextreme Vergangenheit in das Leben gräbt. In diesem Fall verunsicherte unlängst die rechte Vergangenheit eines Kollegen. Vor zehn Jahren hatte die taz über die rechten Aktivitäten des Lehrers berichtet, seine damalige Schule trennte sich von ihm. Zehn Jahre später ist er an einer anderen Schule tätig. Die Hamburger Schulbehörde bestätigt, was er selbst sagt: Er hat sich aus dem früheren Spektrum gänzlich gelöst. Aber Verunsicherungen und Bedenken kamen dennoch auf. Auch weil sein Sohn bei der rechten „Identitären Bewegung“, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, aktiv ist. Und doch: Er hat mit seiner Vita gebrochen, ist aus dem Milieu raus. Einholen kann es ihn trotzdem immer wieder.

In der Gegenwart belastet viele Aussteiger ihre Vergangenheit und wünschen sich mehr Entgegenkommen und Nähe. Aber sie zahlen immer auch den Preis dafür, dass sie einer menschenverachtenden Ideologie anhingen und vielleicht gar Gewalt angewandt haben. Sie können nicht davon ausgehen , dass ihnen jene, die diese Vergangenheit kennen, freundlich entgegen treten. Denn nicht nur ihre Opfer haben dieses Recht auf Distanz.

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