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Vertragsarbeiter in der DDR Ein Leben gegen die Gewalt

Ibraimo Alberto kam als Vertragsarbeiter in die DDR, machte Karriere als Boxer und kämpft heute um Anerkennung und Wiedergutmachung.

Ibraimo Alberto kam 1981 in die DDR. Heute arbeitet er mit Geflüchteten. Foto: Berlin 1982, Privatarchiv Ibraimo Alberto, Julia Oelkers

taz lab | „Boxen statt Gewalt“ steht auf dem Schild über dem Ring in der Boxsporthalle in Berlin-Marzahn. Im Vorfeld des heutigen Wettkampfs treten Kinder zum Sparring in den Ring. Eigentlich sind es Übungskämpfe, die Kinder gehen trotzdem voll ran. Das eine ist vorsichtig, weicht aus, springt vor und zurück. Sein Gegner dagegen wirft die Fäuste ununterbrochen nach vorne.

„Der eine hat keine gute Technik,“ erklärt Ibraimo Alberto mit schwarzer Lederjacke und mondänem Hut. Der 60-Jährige trainiert samstags in der Halle beim Boxring Eintracht Berlin. Hier lernte er kurz nach seiner Ankunft in Deutschland 1981 das Boxen. Damals noch beim SC Tiefbau Berlin.

Mit 18 kam Alberto als einer von 20.000 Ver­trags­ar­bei­te­r*in­nen aus Mosambik in die DDR. Über Albertos Leben gibt es viele Erzählungen. Aufgewachsen ist er auf der Farm eines portugiesischen Großgrundbesitzers. Auf dem Weg zur Schule wurde er einmal fast von einem Löwen gefressen. Er kann von Naziangriffen vor und nach der Wende berichten. Die Erzählung seines Lebens füllt ein ganzes Buch.

18 Kilometer Schulweg

Obwohl 1963 geboren, wuchs Ibraimo Alberto in Mosambik in einer Welt auf, in der Weiße wie Götter angesehen wurden. Wenn seine Familie über den Großgrundbesitzer sprach, auf dessen Farm sie lebte, nannte sie ihn „Muari“-„Gott“, auf Albertos Muttersprache. Dass er zur Schule ging, war eine Ausnahme und nur durch Eigeninitiative möglich. Die 18 Kilometer Schulweg lief er als Kind zu Fuß.

Am 15. Juni 1981 landete er in Berlin-Schönefeld. In Mosambik hieß es, er würde in Deutschland studieren. Aber noch am Flughafen erfuhr er, dass die DDR andere Pläne mit ihm hatte. Er sollte im Volkseigenen Betrieb (VEB) Fleischkombinat Berlin in Weißensee arbeiten, Abteilung Fleischkonserven. Zu seinem Entsetzen hieß das Schweinehälften auseinanderzunehmen.

Diese Arbeit wollten weder er noch seine Kollegen machen. Es stünde ihnen frei, nach Mosambik zurückzukehren, sagte ihnen der Betreuer. Die Kosten für die Flüge müssten sie aber selbst bezahlen, schließlich habe der Staat in sie investiert. Das konnte sich keiner leisten, und deshalb blieben sie.

Die DDR behielt Teile des Lohns

Ein weiterer Dämpfer war, dass 25 Prozent ihres Lohnes einbehalten werden sollte, den sie erst nach ihrer Rückkehr in Mosambik ausgezahlt bekommen würden. Zwei Jahre später erhöhte sich dieser Anteil auf 60 Prozent. Die Begründung: Sie seien noch jung und könnten mit dem Geld nicht umgehen. Tatsächlich behielt die DDR den Anteil ein, um damit Staatsschulden zu tilgen, die Mosambik bei seinem sozialistischen Bruderstaat gemacht hatte.

Untergebracht waren die Mo­sam­bi­ka­ne­r*in­nen in einem Wohnheim nahe der U-Bahn-Station Tierpark. Es gab oft Streit. Wenn sich jemand prügelte, schritt Alberto ein: „Wir kommen aus einem Land mit Bürgerkrieg. Jetzt sind wir hier und machen weiter mit dem Krieg, das geht nicht!“ Schon zu Schulzeiten in Mosambik hatte er den Spitznamen „Verteidiger“.

Um sich und andere zu schützen, lernte er boxen. Er hatte Talent, ging mehrmals pro Woche zum Training und machte schnell Fortschritte. Bald kämpfte er für seinen Verein bei Turnieren in der ganzen Republik. Seine Karriere als Boxer ermöglichte ihm eine Teil­einbürgerung in die DDR.

Bahn fahren ging für Mo­sam­bi­ka­ne­r*in­nen aus Sicherheitsgründen nur in der Gruppe, selbst in Berlin. Im Rest der Republik war Rassismus noch etablierter, und bei Kämpfen musste sich Alberto regelmäßig rassistische Sprüche anhören.

3.000 DM Abfindung

Der Zusammenbruch der DDR bedeutete für die meisten Ver­trags­ar­bei­te­r*in­nen die Ausweisung aus Deutschland. Viele seiner Kollegen hätten sich gefreut, so Alberto, weil sie davon ausgingen, zu Hause den Rest ihres Lohns zu erhalten. Das versprochene Geld erhielten sie nie, sondern nur 3.000 DM Abfindung, bevor sie ins Flugzeug stiegen.

Alberto selbst konnte dank seiner Einbürgerung bleiben, studierte Sozialpädagogik und boxte zehn Jahre für den PCK Schwedt in der Bundesliga. Heute lebt Alberto in Berlin und arbeitet mit Geflüchteten.

„Man hat uns als moderne Sklaven ausgenutzt,“ stellt Ibraimo Alberto klar. Beide Staaten hätten sie um ihren Lohn betrogen. Proteste für Anerkennung dieses Unrechts gibt es in Mosambik und Deutschland, mit der Forderung nach Entschädigung.

Bundesregierung bestätigt neokoloniales Verhältnis

Die BRD beruft sich auf die Entwicklungshilfe, die sie in den 1990ern an Mosambik gezahlt hat. Ein Teil davon sollte auch den Ver­trags­ar­bei­te­r*in­nen zukommen. Dort kam das Geld nie an, sondern verschwand in den Taschen regierungsnaher Kreise.

Wenn Alberto darüber spricht, fällt häufiger mal ein Schimpfwort. Es gehe ihm nicht um die Summe. Die Kompensation würde zeigen, dass den Ver­trags­ar­bei­te­r*in­nen Unrecht widerfahren sei. Mit ihrem jetzigen Verhalten bestätige die Bundesregierung jedoch das neokoloniale Verhältnis, unter dem Ver­trags­ar­bei­te­r*in­nen in der DDR gearbeitet hätten.

Von seinen ehemaligen Kollegen in Mosambik seien viele inzwischen gestorben. Der BRD bleibe nicht mehr viel Zeit, dieses Unrecht gutzumachen, mahnt Ibraimo Alberto.