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■ Verteidigungsminister Rühe ist fast am ZielBosnische Projektionsflächen

Fakten schaffen mit immer mehr Waffen – nach diesem leicht abgewandelten Motto christdemokratischer Außenpolitik vergangener Tage („Frieden schaffen mit immer weniger Waffen“) verfährt die Bundesregierung derzeit höchst erfolgreich, um endlich durchzusetzen, was insbesondere Rühe seit seinem Amtsantritt anstrebt: die Wiederaneignung einer Militärpolitik als gestaltendes Moment deutscher Außenpolitik. Zur Durchsetzung dieses Ziels bietet der Krieg gegen die Muslime in Bosnien immer bessere Voraussetzungen.

Wenn heute in Paris die zwischen Rühe und seinem neuen französischen Kollegen Charles Millon abgesprochene Bitte nach deutscher Unterstützung für die Umgruppierung der Blauhelme in Bosnien offiziell präsentiert wird, kann Rühe feierlich versichern: Wir stehen solidarisch zu unseren Verbündeten, jetzt zu kneifen kommt nicht länger in Frage. Dies, so wird in Bonn kolportiert, hätten nun auch der Kanzler und eine Mehrheit im Bundestag eingesehen.

Was vor wenigen Monaten noch undenkbar erschien, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit schon in wenigen Wochen der Fall sein; 50 Jahre danach stehen deutsche Soldaten wieder auf dem Balkan. Selbstverständlich nicht als Aggressoren, sondern als Lebensretter. Man lernt schließlich aus der Geschichte. So schön kann Außenpolitik sein. Rühe bekommt nicht nur, was er will, er bekommt es auch noch in der denkbar glänzendsten Verpackung: als Held der internationalen Solidarität und Heerführer einer Truppe geläuterter Altruisten.

Dabei befindet Rühe sich in bester Gesellschaft. Alle in Bosnien engagierten Mächte der Kontaktgruppe tun nichts anderes, als den Krieg für ihre eigenen, innenpolitischen Interessen zu instrumentalisieren. Dieser Vorwurf, in der Vergangenheit hauptsächlich an Rußland adressiert, trifft mittlerweile alle gleichermaßen. Das Desaster auf dem Balkan ist das Ergebnis einer Politik auch der westlichen Staaten, die ihre eigenen, nationalen innenpolitischen Interessen vor eine gemeinsame politische Lösung gestellt haben. Was bislang noch mühsam unter dem Mantel der UNO verborgen werden konnte, tritt jetzt ganz offenkundig zutage. Frankreich und Großbritannien sind dabei, gänzlich auf eigene Faust zu entscheiden – weil sie sich herausgefordert fühlen und weil ihre Leute als Geiseln festgehalten werden. Clinton signalisierte Unterstützung, solange er damit Punkte machen zu können glaubte, und zog sich sofort auf ein „Mißverständnis“ zurück, als er merkte, daß er innenpolitisch falsch lag. Es geht um alle möglichen Interessen, nur um eins geht es nicht: eine Lösung und Erlösung für die Opfer des Krieges im ehemaligen Jugoslawien zu finden.

Die gesamte Diskussion wäre eine andere, wenn die Europäische Union, denn die ist eigentlich gefordert, einen politischen Vorschlag vorgelegt hätte, wie die Region, angefangen von kurzfristigen Schritten bis hin zu einer langfristigen Zielvorstellung, befriedet werden könnte und welchem Zweck genau welche militärischen Mittel dabei dienen sollen. Bis heute gibt es keinen Vorschlag, der den neuen Staaten in Jugoslawien eine politische und ökonomische Perspektive in Europa eröffnete, für die es sich lohnen würde, einem Kompromißfrieden zuzustimmen. Gäbe es ein solches politisches Ziel, könnte auch über einen wie immer gearteten deutschen Beitrag sinnvoll diskutiert werden. Was jetzt passiert, ist nichts anderes als übelster Zynismus auf Kosten der bosnischen Bevölkerung. Jürgen Gottschlich

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