: Verstrickt und zugenäht
Jeder gegen jeden. Vor der Jahreshauptversammlung am kommenden Freitag präsentiert sich der FC St.Pauli zerstrittener denn je. Hinter den Kulissen werden fleißig Intrigen gesponnen, der Kampf um die Macht am Millerntor ist voll entbrannt
von MARCO CARINI und OKE GÖTTLICH
Die jährliche Mitgliederversammlung (MV), soviel ist klar, wird zur Existenzfrage für das Führungspersonal des Vereins. Im Fokus der Kritik steht Reenald Koch. Nicht weniger als acht Abwahlanträge gegen den Präsidenten wurden eingereicht – die meisten von ihnen werden erst auf der MV am nächsten Freitag (19 Uhr, CCH, Saal 2) begründet werden.
Wahrheitswidrige Behauptungen
Dem Clubchef wird vorgeworfen, Ex-Trainer Dietmar Demuth und Manager Stephan Beutel systematisch demontiert zu haben – zum Teil mit wahrheitswidrigen Behauptungen. So hatte Koch wahlweise den Mannschaftsrat, Physiotherapeut Uwe Eplinius und Ex-Spieler Stephan Studer, der ein Trainer-Praktikum beim Verein absolvierte, als Kronzeugen dafür bemüht, dass Demuth schwerwiegende Fehler in der Betreuung des Teams gemacht habe. Doch alle Beteiligten distanzierten sich inzwischen vehement von den ihnen von Koch zugeschriebenen Aussagen und bezichtigten den Präsidenten – mehr oder weniger deutlich – der Lüge.
Vorgeworfen wird Koch zudem, dass er hinter dem Rücken von Demuth und Beutel bereits Ende vergangenen Jahres Franz Gerber den Posten des Sportdirektors anbot – eine Aufgabe, die Beutel bis dahin zusätzlich innehatte. Trainer und Manager erfuhren erst aus der Presse, dass ihnen jemand vor die Nase gesetzt würde.
Mit verteilten Rollen war das Duo systematisch attackiert worden. Als Angriffsspitze fungierte dabei Aufsichtsratsmitglied und Koch-Intimus Peter Paulick. Mit der Behauptung, dem Verein fehle es „an sportlicher Kompetenz“ zielte der Anwalt gegen Trainer und Manager, um schließlich die bis heute nicht belegte Behauptung nachzulegen, Beutel hätte beim Transfer des Spielers Marcao Geld in die eigene Tasche abgezweigt. Wer erwartet hatte, Koch würde sich vor seine Mitarbeiter stellen, sah sich getäuscht. Der Präsident nutzte die Steilvorlagen, um Beutel und den inzwischen entlassenen Demuth weiter zu diskreditieren.
Bisheriger Schlusspunkt der Demontage: Vergangene Woche wurde über die Bild-Zeitung das Gerücht lanciert, Beutel werde die Abwahl von Koch und Pothe betreiben, um selber Vereinschef zu werden. Eine gezielte Attacke, die Beutel auf der Mitgliederversammlung, dem höchsten Organ des Vereins, endgültig ins Abseits stellen soll.
Kochs Problem: Er wird seinen ungeliebten Vize anderweitig nicht los. Im Aufsichtsrat fehlt dem Präsidenten eine Stimme zur erforderlichen Dreiviertelmehrheit, um den Rausschmiss Beutels absegnen zu lassen. Kochs Angebot, über einen Auflösungsvertrag auszusteigen, schlug Beutel aus. Stattdessen kündigte dieser inzwischen an, auf der MV seine Sicht der Dinge zu präsentieren – brisante Interna garantiert.
5:2-Führung reicht noch nicht
Neben dem Sturz von Koch und Vize-Präsident Christian Pothe, gegen den zwei Abwahlanträge gestellt wurden, betreibt die vereinsinterne Opposition vor allem die Neubesetzung des siebenköpfigen Aufsichtsrates. Fünf der aktuellen Aufsichtsratsmitglieder gelten als Gefolgsleute des Clubchefs, die fast alles abnicken, was ihnen der Präsident vorlegt. Um diese Zusammensetzung zumindest einige Monate weiter im Amt zu halten, werden nun Geschäftsordnungstricks bemüht. So reichte Geschäftsführerin Tatjana Groeteke den Antrag ein, die Abwahlanträge gegen Koch und Pothe noch vor der Aufsichtsratswahl auf die Tagesordnung zu setzen.
Das Kalkül: Da für die Abwahl des Präsidenten und seines Vizes jeweils eine Zweidrittel-Mehrheit vonnöten ist, stehen die Chancen von Koch und Pothe gut, die Abwahlanträge zu überstehen. Da sich die Stadion-Präsentation und die Abwahl-Prozedur über Stunden hinziehen dürften, könnte die Neubesetzung des Aufsichtsrates aus Zeitgründen (mindestens 16 BewerberInnen stellen sich vor) schlicht von der Tagesordnung kippen. Koch und Pothe hätten bis zur nächsten MV, die frühestens Anfang 2003 stattfinden wird, ihre Ruhe.
Groeteke hätte besser einen Antrag auf Abschaffung des §13, Punkt 7 der Satzung stellen sollen. Der sieht vor, zwei Wochen vor der Mitgliederversammlung eine für alle Mitglieder zugängliche Bilanz in der Geschäftsstelle auszulegen. Diese Bilanz hat die Geschäftsführerin bislang nicht vorgelegt. Ein klarer Satzungsverstoß, der dazu führen könnte, dass der Vorstand auf der MV nicht entlastet werden kann. Denn Groeteke will die Bilanz erst kurz vor der MV vereinsintern präsentieren – zu spät, um diese vernünftig zu prüfen.
Satzungsverstoß der Geschäftsführerin
Rastlose Zeiten für die noch bis zum 5. November angestellte Geschäftsführerin, deren Zukunft durch ein gutes Verhältnis zum Präsidium in einer der Gesellschaften des Vereins gesichert scheint. Also nur ein kurzes Aufatmen bei einigen MitarbeiterInnen des Clubs, die „diesen Termin dicker angekreuzt haben als Weihnachten“, wie zu hören ist.
Auch Holger Scharf, der Vorsitzende der Abteilung Fördernde Mitglieder (AFM) muss sich auf der MV rechtfertigen. Scharf hatte in der Vergangenheit Koch mehrfach öffentlich kritisiert; was ihm in der Presse den Ruf eines notorischen Querulanten einbrachte. Die Folge: Scharf sieht auf der MV einem Vereinsausschlussverfahren entgegen. Kommt dieses durch, hätte Koch immerhin einen Kritiker weniger.
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