■ Pfingsttreffen der Sudetendeutschen Landsmannschaft: Verstärkte Signale
Selten waren die Erwartungen vor einem Sudetendeutschen-Tag so groß wie in diesem Jahr. Im Vorfeld gab es auf allen Seiten Signale der Entspannung: tschechische und sudetendeutsche Intellektuelle publizierten den gemeinsamen Aufruf „Versöhnung 95“, der tschechische Ministerpräsident äußerte sein Bedauern über die Vertreibung, Bundeskanzler Kohl bekräftigte, die „ausgestreckte Hand zu ergreifen“, und Antje Vollmer erklärte sich sogar bereit, zu dem Treffen nach München zu kommen.
Engt man den Blick auf die Hauptkundgebung am Pfingstsonntag ein, so muß man jedoch feststellen, daß ein neuer Tonfall kaum zu hören war. Immerhin hat der Sprecher der Landsmannschaft betont, daß die Entschuldigung eines seiner Vorgänger gegenüber dem tschechischen Volk aus dem Jahre 1963 nach wie vor gelte, daß ein Junktim zwischen der Entschädigung der tschechischen NS-Opfer und der Vertriebenen nicht bestehe und nun eine sudetendeutsche Dialoggruppe für Gespräche gebildet werden soll. Neben der Beschwörung des Vertreibungsschicksals und der Auseinandersetzung mit den „Widersprüchlichkeiten“ tschechischer Politik kamen diese Äußerungen jedoch kaum zur Geltung.
Stärker wirkten die Worte des bayerischen Ministerpräsidenten, der von tschechischen Signalen sprach, „auf die wir lange gewartet haben“. Deutlich wies er darauf hin, daß die Vertriebenen „wie alle Deutschen in der geschichtlichen Verantwortung für die Verbrechen des Naziregimes“ stünden, und appellierte an die Regierungen, nun in „offene, faire Verhandlungen zwischen unseren Staaten“ zu treten. Als Antje Vollmer nach ihrer Begrüßung von einem Teil des Publikums ausgepfiffen wurde, nahm Stoiber sie ausdrücklich in Schutz.
Den Repräsentanten der Landsmannschaft fiel es auch in diesem Jahr schwer, einen selbstkritischen Blick auf die Jahre vor der Vertreibung zu werfen. Zwar lassen sich verschiedene Ansätze in ihren Reden feststellen, sie haben aber noch nicht den Weg von den Nebensätzen in die Hauptsätze gefunden.
Weitet man den Blick über die Kundgebung aus, so wird das Bild differenzierter. Die Ackermann- Gemeinde lud den tschechischen Botschafter Jiři Gruša nach München ein, die Seliger-Gemeinde führte ein Forum europäischer Sozialdemokraten durch, und der Adalbert-Stifter-Verein befragte tschechische, jüdische und sudetendeutsche Augenzeugen über das Jahr 1945. Signale der Entspannung sind in München aufgegriffen und weitergegeben worden. Peter Becher
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