Versorgung: Neue Trendsportart: Spazierengehen
In Osnabrück könnte kommende Woche die frisch gewählte Stadtkämmerin wieder abgewählt werden - bezahlt würde sie weiter. Doch sie ist nicht die einzige, die Geld fürs Spazierengehen bekommt.
Der 16. Oktober 2012 wird für Osnabrück ein teurer Tag. Eine Sondersitzung des Stadtrats steht an. Denn 45 von 51 Ratsmitgliedern fordern: Abberufung von Jutta Bott aus dem Amt der Stadträtin. Ironie der Geschichte: Fast ebenso viele Ratsmitglieder hatten kurz zuvor ihrer Einstellung zugestimmt. Und: Ihre Position als neuer Finanzvorstand Osnabrücks hat Bott erst seit dem 1. Oktober 2012 inne. Bis 2020 hätte ihre Amtszeit dauern sollen.
Die Begründung des Abwahlverfahrens: ein „gestörtes Vertrauensverhältnis“. Denn gegen Bott, vorher Leiterin des Rechnungsprüfungsamts der Stadt Kassel, läuft seit August ein Disziplinarverfahren. Bott hat es zwar selbst angestrengt – aber es wäre ihr auch nichts anderes übrig geblieben. Sie soll eine ihrer Sekretärinnen gebeten haben, ihr bei ihrer Dissertation zu helfen – während der Dienstzeit.
Botts einzige Chance, der Abberufung zu entgehen, wäre ein Amtsverzicht. Aber danach sieht es nicht aus: Dafür hätte sie ja nicht am 1. Oktober antreten müssen, als die Vorwürfe bereits bekannt waren.
Und es geht um viel Geld für sie. Immerhin gilt für Bott Besoldungsgruppe B 4. Die Rechnung: vier Monate lang volle Bezüge – 7.275 Euro. Dazu das Ruhegehalt bis zum Ablauf der Amtszeit: 5.220 Euro pro Monat in den ersten fünf Jahren, 2.450 Euro pro Monat für den Rest bis 2020. Plus Versorgungsleistungen von zirka 2.880 Euro pro Monat nach Versetzung in den Ruhestand. Satte sechsstellige Summe.
Retten könnte Osnabrücks Stadtkasse nur ein Verzicht Botts. Oder, dass sie rasch wieder eine neue Stelle antritt: Dann erlischt ihr Anspruch. „Ich bedauere die Entwicklungen sehr“, sagt Bott. Was ihren Ruf angeht, mag man ihr das glauben.
Die Amtszeit von Kämmerin Bott dürfte rekordverdächtig kurz sein, und auch sonst ist sie eine Ausnahmeerscheinung: Zwar sichert Osnabrück noch anderen frühzeitig aus dem Dienst getretenen Stadtdirektoren und Dezernenten angemessenes Schuhwerk nebst silberdurchwirkten Schnürsenkeln, und auch anderswo gibt es Menschen, die fürs Spazierengehen Geld kassieren. Aber es sind fast immer Männer. Die taz.nord stellt ein paar von ihnen vor – und andere, die das Geld aus ihrem früheren Job gar nicht nötig haben:
Diethelm Hansen, Spitzenkraft im Klinikwesen
Es gibt ja nicht nur Spazierengehen. Diethelm Hansen etwa spielt total gerne Tennis. Er verdient dabei so viel, als stünde er auf der ATP-Weltrangliste unter den Top 100, wenn auch im hinteren Drittel: 280.000 Euro im Jahr, so stehts im Beteiligungsbericht der Finanzsenatorin von - na logisch: Bremen.
Dort war Hansen seit 1. April 2008 als Geschäftsführer der Gesundheit Nord Klinikholding tätig. Seit Herbst 2011 ist er in derselben Funktion untätig - fürs selbe Geld. Gesundheitssenatorin Renate Jürgens-Pieper hatte ihn im Zuge des aktuellen Krankenhausskandals beurlaubt: Weil das Klinikum eine Verseuchung durch antibiotikaresistente Klebsiellen nicht in den Griff bekam und die Infektionshäufung nicht meldete, waren auf der Frühchenstation etliche Säuglinge gestorben. Hansen habe sie unvollständig unterrichtet, lautete der Kernvorwurf der Senatorin. Zwar hofft sie darauf, dass er das viele Geld bald überhat und sich "irgendwann" auf eine neue Stelle bewirbt. Vertrag hat er bis 2016.
Bundespräsident a.D. Christian Wulff
In Christian Wulffs Leben ist alles geregelt: "Scheidet der Bundespräsident […] aus seinem Amt aus, so erhält er einen Ehrensold in Höhe der Amtsbezüge": Macht 199.000 pro Jahr. Das ist Gesetz, genauer: Bundespräsidenten-Ruhebezügegesetz, Paragraf 1.
"In Burgwedel bieten" - laut städtischer Homepage - "Gärten und Parks den Bürgern vielfältige Erholungsmöglichkeiten". Da hat Wulff, 53, also was zu erkunden. Er hat dafür aber auch reichlich Zeit: Der Durchschnittsdeutsche stirbt mit 82. Reiche werden älter. Und nichts hält so fit wie ausreichend Frischluft und ein ausgiebiger Spaziergang jeden Tag.
André Schubert, Extrainer beim FC St. Pauli
Es war von Anfang an ein Himmelfahrtskommando: Als André Schubert im Sommer 2011 Trainer beim FC St. Pauli wurde, folgte er Holger Stanislawski nach, mit dem die Mannschaft in die Bundesliga auf- (und wieder ab-) gestiegen war. Stanislawski war Gott, sein Nachfolger hätte Wunder vollbringen müssen - etwa den Wiederaufstieg schaffen. Der war aber schon bald in weiter Ferne, so dass Schubert bereits im Mai vor dem Rauswurf stand: Die Vereinsführung warf ihm "mangelnde Teamfähigkeit" und "kommunikative Defizite" vor.
Trotzdem bekam Schubert noch eine Chance - bis zum 26. September, als ihn das Präsidium "mit sofortiger Wirkung beurlaubte". Schuberts Vertrag mit dem FC St. Pauli läuft bis zum 30. 6. 2013, bis dahin bekommt er sein Gehalt weitergezahlt. Wie viel das ist, wird nicht verraten - bereits bei der Vertragsunterzeichnung war über diesen Punkt "Stillschweigen vereinbart" worden. Wo Schubert spazieren geht, ist nicht bekannt. Derzeit ist er im Urlaub - und nicht erreichbar.
Jost de Jager, arbeitsloser Ex-CDU-Minister
Jost de Jager lebt vom Staat. Der arbeits- und mandatslose CDU-Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein will im Herbst 2013 im Wahlkreis Flensburg-Schleswig einen Sitz im Bundestag ergattern. Bis dahin wird er wohl von Alimenten abhängig sein.
Der 47-Jährige war von 1996 bis 2005 Landtagsabgeordneter, von 2005 bis 2012 Staatssekretär und schließlich Minister in der Wirtschaftsbehörde. Bis Juni 2012 bezog er sein Ministergehalt in Höhe von rund 11.600 Euro. Diese Summe erhielt er drei weitere Monate lang (Juli bis September) als Übergangsgeld, seitdem bekommt er den halben Betrag von etwa 5.800 Euro. Als Bundestagsabgeordneter ab September 2013 erhielte er kein Übergangsgeld mehr.
"Ich habe mich klar für eine Bundestagskandidatur entschieden und dafür, die CDU Schleswig-Holstein weiter als Landesvorsitzender zu führen", sagt de Jager dazu. "Inwieweit ein berufliches Angebot aus der Wirtschaft mit beidem zu vereinbaren ist, muss jeweils im Einzelfall geprüft werden."
Ole von Beust, ehemaliger Bürgermeister
Ole von Beust ist die rühmliche Ausnahme: Der langjährige Hamburger CDU-Bürgermeister arbeitet tatsächlich und verdient gut. Nach seinem Rücktritt nach fast neun Amtsjahren im August 2010 hätten ihm drei Monate lang (September bis November) die vollen Bezüge von 13.577,83 Euro zugestanden, danach ein Übergangsgeld bis zum 31. August 2012 von 6.788,91 Euro. Anschließend könnte er bis ans Lebensende ein Ruhegehalt von 6.313,69 Euro beziehen.
Von Beust aber kassierte nur einen Monat lang. Seit 1. Oktober 2010 arbeitet er wieder als Rechtsanwalt und Unternehmensberater. Im Juli sagte der 57-Jährige der Süddeutschen Zeitung, er schätze die freie Wirtschaft: "Heute habe ich an einem Kontoauszug mit einer ordentlichen Summe unverhohlene Freude." Er verdiene jetzt "auch deshalb gut, weil ich im Bürgermeisteramt Erfahrungen gesammelt habe".
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