Versorgung ungewollt Schwangerer: Niemand will Abtreibungen
Schwangerschaftsabbrüche wird es immer geben. Verbote ändern daran nichts. Es ist eine Frage der Gesundheit, nicht der Ideologie.
W ährend meines Medizinstudiums habe ich die Begriffe „induzierter Abort“ oder „Interruptio“ nicht gehört. Also irgendwo nebenbei vielleicht mal. Aber über Abtreibung wusste ich nach dem Medizinstudium nicht viel mehr als vorher.
In Deutschland gab es 2019 dieselbe Anzahl an Blinddarmentfernungen wie an Schwangerschaftsabbrüchen, nämlich rund 100.000. Währen der:die Chirurg:in die Appendektomie perfekt beherrschen muss, kann ein:e Frauenärzt:in ihre Facharztprüfung ablegen, ohne einen einzigen Schwangerschaftsabbruch durchgeführt zu haben.
Und das ist gut. Es ist gut, dass die fachärztliche Prüfung abgelegt werden kann ohne die praktische Erfahrung eines Schwangerschaftsabbruchs. Wer persönliche, ethische, religiöse oder welche Bedenken auch immer hat, sollte die Freiheit haben, sich gegen das Durchführen eines Abbruchs zu entscheiden.
Nur ändert das nichts daran, dass es im Jahr 100.000 Frauen gibt, die abtreiben. Es muss also Ärzt:innen geben, die in der Lage sind, diese Abbrüche fachgerecht durchzuführen. Aber deren Anzahl sinkt. 2003 waren es noch 2.050 Praxen und Kliniken, 2020 nur noch 1.152, ergab eine Kleine Anfrage der Linkspartei im Frühjahr. Mehr Ärzt:innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, wird es aber nicht geben, wenn Mediziner:innen mit dem Thema nie in Berührung kommen.
Was ich gerne gelernt hätte
Ich hätte im Medizinstudium gerne gelernt, dass die Abtreibungsrate in Ländern, in denen Abtreibung illegal ist, bei 37 von 1.000 Frauen liegt. In Ländern, in denen Abtreibung legal ist, treiben 34 von 1.000 Frauen ab. In Argentinien starb 2018 eine 34-jährige Frau an den Folgen einer entzündeten Gebärmutter. Sie hatte Petersilie (die menstruationsanregendes Apiol enthält) in die Vagina eingeführt.
Ich hätte gerne gelernt, dass man als Ärzt:in Leben rettet, wenn man fachgerechte Abtreibungen durchführt. Laut dem renommierten Guttmacher Institute gehen weltweit 8 bis 11 Prozent der Müttersterblichkeit auf eine Abtreibung zurück, die nicht richtig durchgeführt wurde. Schon heute lassen Schätzungen zufolge Zehntausende Frauen in Polen entweder illegal abtreiben oder gehen ins Ausland. Diese Zahl wird sich in Polen, vielleicht bald auch in den USA erhöhen. Und damit auch die Sterblichkeit von Müttern.
Wir haben die Frage des Schwangerschaftsabbruchs zu einer ideologischen gemacht. Das ist sie aber nicht. Fakt ist: Niemand will Abtreibungen. Auch Frauen, die eine Abtreibung durchführen lassen, wollen sie nicht. Sie wollen nur kein Kind. Auch viele Männer wollen kein Kind. Aber die können einfach weggehen. Eine Frau kann das nicht. Deswegen sind Schwangerschaftsabbrüche eine Realität. Wollen wir das Leben von Müttern retten, müssen wir sicherstellen, dass sie ohne Stigma und Angst Zugang zu einer sicheren, fachgerechten Abtreibung haben. Es wird deswegen nicht mehr Abtreibungen geben. Denn: Niemand will abtreiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers