Versicherungswesen in Irland: Abzocke im großen Stil
Viele Firmen nehmen ihre Kunden mit überhöhten Prämien aus. Das könnte manchen Versicherten sogar die Existenz kosten.
Irlands Kfz-Versicherungen betreiben Abzockerei im großen Stil, das hat eine Untersuchung der irischen Zentralbank vor kurzem ergeben. Die Kosten für Schadensfälle sind in den vergangenen fünf Jahren um 14 Prozent gesunken. Die Versicherungsprämien stiegen im selben Zeitraum um 62 Prozent. Seit der Bericht Mitte Dezember veröffentlicht worden ist, tobt eine Debatte in den Zeitungen und im Internet.
Für viele Irinnen und Iren, die nach Jahren im Ausland in die Heimat zurückkehren, ist ein eigenes Auto unerschwinglich, selbst wenn sie in England, den USA oder Australien jahrelang unfallfrei gefahren sind. Die Versicherungen lassen das nämlich nicht gelten, sondern stufen die Heimkehrer wie 18-jährige Anfänger ein.
Paul Cotter und seine Frau sind nach fünf Jahren aus Australien zurückgekommen und haben einen sieben Jahre alten Toyota gekauft. „Neunzig Prozent der Versicherungen haben nicht mal ein Preisangebot gemacht, obwohl wir nie einen Unfall hatten“, sagt Cotter. „Die anderen verlangten zwischen 3.000 und 4.000 Euro.“
Obligatorische Fahrstunden
Thomas Murray kam aus Texas nach Irland und kaufte sich ein Auto. Das muss vorerst in der Garage bleiben, weil die Versicherungen seinen US-Führerschein nicht anerkannten. Er war 25 Jahre lang unfallfrei gefahren, aber musste in Dublin zwölf obligatorische Fahrstunden nehmen und eine Führerscheinprüfung ablegen. Dafür musste er sich vom Fahrlehrer einen Wagen mieten, weil er für sein eigenes Auto ohne irischen Führerschein keine Versicherung bekam.
Das Argument, die Leute sollten in Anbetracht des Klimawandels lieber mit Bus und Bahn fahren, lässt Murray nicht gelten: „Der öffentliche Nahverkehr ist in den Großstädten marode. Auf dem Land ist man ohne Auto erst recht verratzt.“
Das Problem sind aber nicht nur die Kfz-Versicherungen. Kinderkrippen und Restaurants sind gefährdet, weil sie entweder die Versicherungsprämie nicht mehr aufbringen können oder erst gar kein Unternehmen mehr finden, das sie versichert. Nachdem sich die Firma Ironshore vom Markt zurückgezogen hat, gibt es mit Arachas nur noch eine Versicherung für Krippen und die hat die Prämien verdoppelt bis versechsfacht.
Der Staat, der die Vorschulerziehung dem privaten Sektor überlässt, hat kurz vor Silvester einen einmaligen Zuschuss von 1500 bis 26000 Euro je nach Größe der Krippe gewährt. Insgesamt kostet das sieben Millionen Euro. Der Oppositionsabgeordnete Robert Troy sagt: „Wir verwenden Steuergelder, um ein sehr profitables Versicherungsunternehmen zu subventionieren.“
Netz von Lügen
Andere Bereiche werden nicht unterstützt. Besonders dramatisch ist die Lage im Hotel- und Gastgewerbe. Drei große Versicherungen haben sich am 1. Januar aus diesem Geschäft verabschiedet. „Jetzt haben wir Angst, dass wir noch stärker geschröpft werden“, sagt Eoin McCambridge, der ein Restaurant und einen Feinkostladen in Galway betreibt.
„Vor zehn Jahren haben wir 10.000 Euro Versicherungprämie im Jahr bezahlt. 2019 waren es 125.000 Euro, und nun wird es noch teurer.“ Sein Geschäft ist seit 1925 im Familienbesitz, aber wenn die Kosten weiter steigen, wird das Unternehmen das 100. Jubiläum nicht erleben.
Die Versicherungen haben ein Netz von Lügen gespannt, um ihre exorbitanten Prämien zu rechtfertigen. Die „Compo Culture“ sei schuld – also die vor allem bei den unteren Schichten angeblich weit verbreitete Praxis des Versicherungsbetrugs.
Eine simple mathematische Rechnung entlarvt das als Quatsch. Wenn laut Versicherungsverband 20 Prozent aller Schadensmeldungen betrügerisch seien, müssten fast 5000 Fälle jedes Jahr vor Gericht landen, rechnet Mark Paul von der Irish Times vor. Tatsächlich waren es in den vergangenen sechs Monaten gerade Mal 19 Fälle.
Wer ist also tatsächlich schuld an der Abzocke? „Es ist Gier“, sagt Seán Murphy. Statt die 6000 Euro Versicherungsprämie zu zahlen, könne seine Tochter täglich Taxi fahren. „Das ist wesentlich billiger.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“