Verschuldetes Brüssel: Pleite und regierungslos
Die letzte Hoffnung für Brüssel ist ein Linksbündnis – doch das müsste sich vertragen und sparen, sparen, sparen.
D ie Börse in Brüssel ist schon längst kein Tempel des Geldes mehr. Drinnen werden Ausstellungen und Flohmärkte organisiert, draußen auf den Treppenstufen vor dem Hauptportal treffen sich die Brüsseler zum Shoppen oder zum Rendezvous. La Bourse – das ist ein beliebter Treffpunkt mitten in der Stadt.
Wie ein großes Familientreffen sah auch das Event am Pfingstmontag aus. Doch das Freiluftpicknick, an dem mehr als 500 Bürgerinnen und Bürger teilnahmen, hatte einen ernsthaften Hintergrund. Brüssel ist pleite, nach einem Jahr ohne Regierung stehen die Stadt und die Region Brüssel-Hauptstadt am finanziellen und politischen Abgrund.
„Es reicht, Brüssel kann nicht noch länger warten“, stand auf Flugblättern, die die Veranstalter – eine bunte Mischung aus städtischen Bediensteten, besorgten Unternehmern, Vereinen, Verbänden und Künstlern – am Pfingstmontag ausgelegt hatten. Es roch nach Kaffee und Croissants, die Stimmung war entspannt.
Dabei ist es ein Alarmsignal, dass die Bürger auf die Straße gehen. Die Politik hat versagt – und das mitten in Europa und unter den Augen der EU-Kommission, die ein paar Kilometer weiter auf einem Hügel namens Berlaymont thront. Ein Jahr nach der Europawahl rutscht die Stadt Brüssel immer tiefer in die Krise.
Premierminister ist machtlos
Am liebsten würde er die Region unter Vormundschaft stellen, schimpfte der belgische Premierminister Bart De Wever, nachdem der x-te Versuch zur Bildung einer Regionalregierung gescheitert war. Doch die belgischen Regionen – neben Brüssel-Hauptstadt gibt es noch Flandern und die Wallonie – sind autonom, De Wever ist machtlos.
Auch die EU-Kommission ist außen vor. Kommissionschefin Ursula von der Leyen kann (noch) nicht in die Kommunalpolitik hinein regieren. Eine Koalition müssen die belgischen Politiker schon selbst hinkriegen. Doch die sind heillos zerstritten.
Zwar haben die Wahlsieger vom liberalen Mouvement Réformateur (MR) ein Programm vorgelegt – in der Hoffnung, dass die anderen Parteien darauf eingehen und in Koalitionsverhandlungen einsteigen. Doch die Sozialisten machen nicht mit, sie suchen eine linke Mehrheit.
Davor warnt wiederum die rechtsliberale Bundesregierung unter De Wever – denn dann käme auch die linksradikale PTB (Partei der Arbeiter Belgiens) in Brüssel an die Macht. Sie hatte vor einem Jahr 20,9 Prozent der Stimmen geholt – kaum weniger als die Sozialisten (22,0) und das MR (25,9). In einigen Stadtteilen lag die antikapitalistische Bewegung sogar vorn.
Regieren tut weh
Allerdings haben vor allem die Grünen (Wahlverlierer mit 9,8 Prozent) wenig Lust, sich mit der PTB einzulassen. Und ohne Grüne gibt es keine linke Mehrheit. Erschwerend kommt hinzu, dass die Parteien in je eine frankofone und eine flämische Formation gespalten sind – und dass für ein Bündnis auch noch das muslimische „Team Fouad Ahidar“ gebraucht wird. Schwer zu sagen, wie man da zusammenkommen soll. Zumal das Regieren in Brüssel ohnehin keinen Spaß mehr macht, sondern richtig wehtut. Denn die Stadtregion ist mit fast 15 Milliarden Euro bis über beide Ohren verschuldet und muss sparen, sparen, sparen. Schlimmer ist die Lage in der EU eigentlich nur noch in Berlin, das mit 66 Milliarden Euro in der Kreide steht.
Doch während Berlin historische Gründe wie die Wiedervereinigung anführen kann, steht Brüssel mit seinen Schulden ziemlich dumm da. Die Lage könnte sich sogar noch verschärfen – wenn die Rating-Agentur Standard & Poor’s die Kreditwürdigkeit der Region herabstuft. Damit würden die Zinsen steigen, der Schuldendienst würde noch teurer – das Regieren noch undankbarer.
Kein Wunder also, dass die Regierungsbildung wie eine „Mission impossible“ aussieht. Erstaunlich ist allerdings, dass die EU nicht hilft. Sie profitiert von der Infrastruktur in Europas Hauptstadt – doch mit den Problemen Brüssels will sie nichts zu tun haben.
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