Verquaste Aussagen zum Holocaust: Pirat unter brauner Flagge
Die Partei der Internet-Aktivisten hat einen Mann mit verquasten Thesen zum Holocaust in ein Amt gewählt - und will ihn nun schleunigst wieder loswerden.
BERLIN taz | Die Piratenpartei kämpft weiter mit Gegenwind: Seit Tagen kritisieren Blogger und Twitter-Nutzer, dass die Partei einen Holocaustleugner in ihrer Mitte dulde. Am Dienstag distanzierten sich die Piraten nun von ihrem Aktivisten Bodo Thiesen und forderten ihn auf, sich binnen 24 Stunden "eindeutig und endgültig von seinen fragwürdigen Aussagen zum Holocaust zu distanzieren".
Auf dem Parteitag in Hamburg am vergangenen Wochenende war Thiesen noch in das Amt eines stellvertretenden Schiedsrichters gewählt worden, er steht zudem auf der Landesliste der rheinland-pfälzischen Piratenpartei.
Für Wirbel hatte Bodo Thiesen bereits auf dem ersten Bundesparteitag 2008 gesorgt. Der Vorwurf: Thiesen habe in der Mailingliste der Partei "leichtfertig und unreflektiert Position" bezogen zu pseudowissenschaftlichen Abhandlungen von Germar Rudolf, einem verurteilten Holocaust-Leugner.
Im Internet verteidigte sich Thiesen: "Meine Ansichten über die Deutsche Geschichte entsprechen sicherlich nicht der allgemeinen Lehrmeinung. [...] Ob nun die Juden (und die nicht-jüdischen Opfer, die ich in Folge nicht jedes mal separat aufzählen werde) in Auschwitz vergast wurden oder auf anderem Wege getötet wurden, spielt für die Entscheidung, jedes Menschenleben unabhängig von der Hautfarbe, Religion usw. schützen zu müssen, keine Rolle. Sie spielt auch keine Rolle in der Bewertung, ob die Judenverfolgung ein Verbrechen war, oder nicht."
Piratenparteien wurden in mehreren Ländern gegründet und setzen sich für mehr Datenschutz, mehr Informationsfreiheit und verwandte Themen ein. Der deutsche Ableger wurde 2006 gegründet. Bei der Europawahl 2009 erzielte die Partei in Deutschland ein Ergebnis von 0,9 Prozent, die schwedische Mutterpartei kam auf 7 Prozent und darf einen Abgeordneten nach Brüssel schicken. Seit Juni 2009 sitzt der umstrittene Ex-SPD-Abgeordnete Jörg Tauss, gegen den wegen des Besitzes von Kinderpornografie ermittelt wird, für die Piratenpartei im Deutschen Bundestag. Er strebt nach eigener Aussage keine Wiederwahl an.
Der Parteivorsitzende Jens Seipenbusch kritisiert das Verhalten: "Thiesen ist kein Rechtsextremer, eher ein Meinungsfreiheitsfetischist", sagt Seipenbusch. Dass er nun ein Parteiamt bekleide, sei bedauerlich - er sei da durch Wahl hineingerutscht. Thiesen schade der Piratenpartei damit. "Die beste Lösung wäre natürlich, wenn er austritt", sagt Seipenbusch, der am Donnerstag im Parteivorstand das weitere Vorgehen beraten will.
Ob sich die Partei zu einem Ausschluss durchringen würde, ist unklar. Seipenbusch laviert: Ein Ausschluss sei nicht zwingend - Thiesen solle nur keine Ämter bekleiden. Ihn von seinem Posten zu entfernen, könne dauern. Die Partei müsste eine Ordnungsmaßnahme anstrengen, das Schiedsgericht würde den Fall verhandeln, Thiesen hätte ein Anhörungsrecht. Außerdem sei der Mann seit 2008 nicht mehr auffällig geworden.
Angelo Veltens, Vorsitzender von Thiesens Landesverband Rheinland-Pfalz, sieht das ähnlich. "Die Stellungnahmen von früher sind bedenklich", sagt Veltens, "zuletzt hat er sich aber nie so geäußert." Bodo Thiesen sei auch kein Rhetoriker, er drücke sich oft missverständlich aus.
Der Berliner Parteienforscher Oskar Niedermayer sieht die Auseinandersetzung mit rechtsextremen Mitgliedern nicht als ein generelles Startproblem junger Parteien: "Klar waren bei den Grünen ein paar Exoten dabei" - aber es gebe auch eine Reihe von Gegenbeispielen.
"Wenn sich die Piratenpartei nicht klar positioniert, wäre das blauäugig", sagt Niedermayer. Als Single Issue Partei für Bürgerrechte und Datenfreiheit für alle offen zu sein, sei in Ordnung. Wenn die Piratenpartei jedoch wisse, dass jemand nachweisbar extremistische Positionen vertrete, sei ein Ausschlussverfahren angebracht.
Ob Bodo Thiesen den Piraten diesen Schritt ersparen wird, und die Partei aus eigenen Stücken verlässt, ist unklar. Für eine Stellungnahme war er für die taz nicht erreichbar. Bis Mittwochnachmittag hatte er auch nicht auf das Ultimatum der Partei reagiert.
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