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Verpflichtungen bei SchulverhandlungenNeuer Zank um "Schulfrieden"

Die SPD will alle Parteien für zehn Jahre auf die vierjährige Grundschule verpflichten, falls die Initiative "Wir wollen lernen" den Volksentscheid gewinnt.

Worüber freut er sich genau? Olaf Scholz am Tag, als der Schulfrieden beschlossen wurde. Bild: dpa

SPD, CDU und GAL hatten sich auf einen Schulfrieden geeinigt -so schien es am Dienstag, als die Politiker glücklich in die Kameras lächelten. Doch die schriftliche "Vereinbarung zur künftigen Hamburger Schulstruktur", die der SPD-Landesverband am Mittwoch verschickte und die am 3. März feierlich unterzeichnet werden soll, wird nun von CDU, GAL und SPD unterschiedlich interpretiert.

Zentraler Kern ist ein zehnjähriger "Schulfrieden", eine Veränderungssperre, innerhalb deren Dauer die Schulstruktur nicht angetastet werden soll. Bislang schien es so, als bezöge sich dies auf die sechsjährige Primarschule. Doch SPD-Landeschef Olaf Scholz möchte diese Bestandsgarantie nun auch für die vierjährige Grundschule - gesetzt den Fall, dass die Initiative "Wir wollen lernen" im Sommer den Volksentscheid gewinnt.

Zwar heißt es in der Vorlage, die Parteien einigten sich auf eine Struktur, die aus "Stadtteilschule und Gymnasium und aus einer sechsjährigen Primarschule besteht". Gleich danach steht aber: "Über die sechsjährige Grundschule findet voraussichtlich ein Volksentscheid statt. Das Ergebnis der Volksabstimmung gilt." Und weiter: "Die Parteien verpflichten sich, diese Schulstruktur über einen Zeitraum von zehn Jahren zu garantieren - unabhängig davon, wer die Regierung stellt."

GAL-Fraktion-Pressesprecher Jan Dube erklärt der taz: "Dieses gilt nur für den Fall, dass das Volk der Primarschule zustimmt." Über diese Sichtweise bestehe "Konsens" zwischen den Parteien. CDU-Fraktionssprecher Hein von Schassen interpretierte die Sache zunächst andersherum, bestätigte aber nach Rücksprache mit Verhandlungsteilnehmern auch: "Diese Aussage gilt nur, wenn der Volksentscheid gewonnen wird." Vom Senat, versteht sich.

Ganz anders die SPD: Pressesprecher Jörg Schmoll sagte nach Rücksprache mit Olaf Scholz, der Volksentscheid berühre die Struktur aus Gymnasium und Stadtteilschule nicht, sondern stelle nur die Frage, ob vier oder sechs Jahre Grundschulzeit gelten. "Wenn das Volk entschieden hat, ist es politisch unklug, da ranzugehen." Und weiter: "Die Zusicherung, die Strukturfrage nicht zu thematisieren, gilt auch für diesen Fall, so wie es in der Vereinbarung steht."

Aus Regierungskreisen ist nun zu hören, dass man mit der SPD wohl noch einmal reden müsse, bevor es am Mittwoch zur feierlichen Unterschrift kommt. Klar ist, dass das Thema vor allem für die beiden großen Parteien CDU und SPD politisch verbrannt ist, sollte der Volksentscheid haushoch verloren gehen. Auch gibt es neue Hürden in der unter Schwarz-Grün veränderten Landesverfassung: Ändert die Bürgerschaft ein vom Volk verabschiedetes Gesetz, gilt ein neues Verfahren: Gegner bräuchten nur etwa 30.000 Unterschriften, um darüber eine erneute Volksabstimmung zu erreichen.

Aber unmöglich wäre ein neuer Anlauf, die Schulstruktur zu ändern, nicht. Etwa wenn die Abstimmung sehr knapp ausginge und die politischen Kräfteverhältnisse andere wären - oder wenn neue Entwicklungen einträfen, wie ein völliges Scheitern der Stadtteilschule.

Linken-Fraktionschefin Dora Heyenn wäre deshalb auch nur bereit, eine achtjährige Frist zu unterzeichnen, innerhalb derer die Primarschule sich entwickeln soll. Eine Unterschrift unter den jetzt bekannt gewordenen Vertragstext ist für sie indiskutabel. "Das wäre bildungspolitisch unverantwortlich."

Sie wirft der SPD vor, sich ein "Hintertürchen" offen zu halten und immer noch nicht für längeres gemeinsames Lernen zu kämpfen. "Das ist keine politische Willensbildung. Die Partei weiß nicht, was sie will."

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7 Kommentare

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  • B
    bluesman

    Als interessierter Beobachter der gesamten Diskussion muß ich leider festellen, das sachliche Argumentationen kaum noch zu finden sind. Befürworter behaupten, das die Reformgegner ihre "Fleischtöpfe" verteidigen wollen, den Befürwortern wird blinde, linke Ideologie vorgeworfen. Fakten sind doch:

    1. das 6-jährige, gemeinsame Lernen wird in vielen Ländern erfolgreich praktiziert.

    2. als Mathenachhilfelehrer muß ich festellen, dass insbesondere Schüler der 5. und 6. Gymnasialklassen erhebliche Probleme haben, weil etliche davon Spätstarter sind.Leider ist es so, dass nur solche Kinder gefördert werden, deren Eltern sich die 140.- Euro im Monat für Nachhilfe leisten können.

    Dieser ganze Streit wird also auf dem Rücken der Chancengleichheit aller Schüler ausgetragen. Aus meiner Sicht ist eine Reform des momentanen Schulsystems längst überfällig um Kindern vernünftige Chancen zu eröffnen.

    Hört mit den Verbalinjurien auf und kehrt zu Sachlichkeit zurück. Eure Kinder werden es euch danken !!!

  • J
    Jörg

    Schon bezeichnend, wenn CDU, GRÜNE und LINKE einen Volksentscheid ignorieren wollen und im Falle eines erfolgreichen Volksentscheids einen neuen Vorstoß zur Schulreform in den nächsten 10 Jahren unternehmen wollen. Wenn dann die Politikverdrossenheit noch größer wird, wird es kein Wunder sein.

  • A
    Aleksander

    Nein MAX, es ist ein Irrtum zu glauben in Deinem schwierigen Stadtteil würde sich etwas durch die Reform verbessern. Das könnte eventuell mit viel Geld und zusätzlichen Lehrkräften (auch in der Vorschule und Kita) geschehen. Aber weder Geld noch Lehrer werdet Ihr vom Senat bekommen, da ist nämnlich nichts zu holen außer leeren Kassen. Wie man Schüler ohne Gymnasialempfehlung ein Jahr in der 7. im Unklaren hängen lassen und andererseits das Sitzenbleiben für alle anderen Schüler abschaffen kann erschließt sich wohl nur linken Ideologen. Wie soll sich denn da der Leistungsschnitt (Pisa) verbessern?

    Ich bin Vater von 3 Kindern und weiß wovon ich hier rede. Das ganze Gezerre geht nur um Macht und deren Erhalt. Aber da werden sich die Herrschaften - auch die GAL - noch wundern, denn wer Volkes Wille (selbst wenn es nur 50% sein sollten) ignoriert, wir die Quittung bekommen.

    Es kann eigentlich auch nicht sein, daß eine Partei, mit weniger Stimmen gewählt als die Volksinitiative bekam, die Schulpolitik in Hamburg bestimmt.

  • A
    auweia

    Vor einigen Tagen (nach der Verkündung der große Koalition zur Primarschule) erhielt ich eine Mail von Ties Rabe (Schulpolitischer Sprecher SPD HH):

     

    Zitat Rabe : "Meine persönliche Meinung und die Haltung der Mehrheit der SPD über die Primarschule ist bekannt. Die SPD hat als einzige Partei in der Bürgerschaft die Strukturelemente und die Schulreform insgesamt klar abgelehnt. Das ist mühsam in einer Volkspartei, die genau wie die CDU in Bezug auf einzelne Reformelemente hin- und hergerissen ist. Zudem hat eine Opposition deutlich weniger "Disziplinierungsdruck" als eine Regierungspartei."

     

    Auch wenn die SPD von 9 Jahren gemeinsamen Lernens träumt. In der Partei sind die Fachleute gegen die Primarschule - mit gutem Grund.

     

    Alle anderen können ja weiter auf dem Ideologietrip bleiben (bis zum Sommer).

  • BM
    Besorgte Mutter

    Also fragen wir doch mal Eltern schulpflichtiger Kinder. Ist St. Georg weit genug von Blankenese entfernt?

     

    Also wir möchten keine sechsjährige Primarschule ohne Noten und damit nicht vergleichbar wie gut das eigene Kind ist. Mit Kuschelpädagogik etc.

     

    Uns reichen vier Jahre kuscheln und dann der Ernst des Lebens, er muss ja irgendwann gelernt werden und das schafft man im schlechtesten fall (ehemalige Hauptschule) nun mal nicht in zwei Jahren.

  • B
    Bagalude

    Ich kann Max nur zustimmen. Es ist schon mehr als bedenklich wie hier von WWL versucht wird einen Klassenkampf 2.0 zu erreichen.

  • M
    Max

    Ach Leute, irgendwann reicht´s auch mal....macht euch doch mal die Mühe, die Betroffenen, sprich Schüler, Eltern schulpflichtiger Kinder und Lehrer zu befragen (Nein, bitte nicht die aus Blankenese, die haben ihr Sprachrohr...), vielleicht gäbe es ein ganz neues Bild. Die Reform ist mit viel Aufwand und aus gutem Grund auf den Weg gebracht worden und muss nun auch umgesetzt werden. Alles andere geht gar nicht, es würde Jahre dauern, bis sich in dieser Republik wieder jemand trauen würde, etwas am kränkelnden Schulsystem zu ändern.

    Hoffnungsvoll, ein Lehrer einer zukünftigen Stadtteilschule in einem der vielen "schwierigen" Vierteln.