Verkehrsplanung: Frauen erobern sich die Straße
Die Bedürfnisse von Frauen werden in der Verkehrspolitik zu wenig berücksichtigt, kritisieren die Grünen. Grund: Meist entscheiden Männer, trotz Verkehrssenatorin. Eine Arbeitsgruppe soll helfen.
Senatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) ist allein unter Männern - bundesweit ist sie die einzige Frau in einer Landesregierung, die das Verkehrsressort verwaltet. Und unter ihr machen auch in Berlin die Jungs alles unter sich aus, sagt die Verkehrssoziologin Angela Kohls: "Verkehrspolitik ist in der Stadt reine Männersache. Leider. "Weil der allergrößte Teil der Verkehrspolitiker männlich sei, werde Verkehrspolitik aus strikt männlicher Sicht gemacht, so Kohls weiter - zum Nachteil der Frauen.
Ein Beispiel: Die BVG betreibt 170 U-Bahnhöfe in der Stadt, aber nur 67 sind mit einer Rampe oder einem Aufzug ausgerüstet. "Das betrifft Mütter mit Kinderwagen genauso wie Rollstuhlfahrer oder ältere Menschen", kritisiert Kohls. "Da müssten etwa 200 Millionen investiert werden, doch das Problem wird hinten angestellt." Dagegen könne man sich durchaus fragen, ob Berlin den Ausbau der Stadtautobahn wirklich brauche.
"Frauen fahren auch öfter mit dem Fahrrad und gehen öfter zu Fuß als Männer", sagt die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen, Claudia Hämmerling. Zudem hätten viele Frauen andere Tagesabläufe, Hämmerling spricht von "gebrochenen Wegen": Frauen bringen das Kind zur Kita, kaufen Lebensmittel ein, holen das Kind wieder ab - sie müssen also im Nahverkehr öfter umsteigen. Deshalb sei die Qualität des Nahverkehrs für Frauen entscheidend. Eine Mitteilung der Europäischen Kommission von 1998 bestätigt diese Sicht: Frauen unternähmen öfter Fahrten mit mehreren Zielorten und und reisten öfter mit kleinen Kindern, so das Kommissionspapier.
Die beiden Grünen-Frauen wollen jetzt - zusammen mit der Stadtplanerin und Bezirksparlamentarierin Antje Kapek - die Arbeitsgemeinschaft Mobile Frauen gründen. Ein erstes Treffen ist für den 10. Oktober im Abgeordnetenhaus geplant - und Interessierte sind herzlich eingeladen.
Die Idee entstand, weil auch die Grünen nicht immer frauenfreundliche Politik machen: Kapek und Kohls waren bis vor kurzem die Specherinnen der grünen Landesarbeitsgruppe Verkehr, kamen darin aber mit ihren Themen nicht an. Enttäuscht traten sie nicht wieder für den Sprecherposten an. "Fußverkehr oder Verkehrssicherheit fanden die männlichen Kollegen einfach unsexy", sagt Hämmerling. "Die interessieren sich beim Nahverkehr vor allem für den Pendler mit Aktentasche."
Ganz oben auf der Tagesordnung des ersten Treffens steht "Shared Space". Dieses verkehrsplanerische Konzept kommt aus Holland. "Wo der Verkehrsraum wirklich geteilt wird, ist das Auto eben nicht mehr die oberste Priorität", sagt Hämmerling. "Es gibt dort Städte ganz ohne Verkehrsschilder. Dort gilt nur noch rechts vor links und der Rest läuft über Augenkontakt." So werde der Verkehr entschleunigt und die Zahl der Verkehrsunfälle deutlich gesenkt, so Hämmerling. Solch einfachen Reformen sparen sogar Geld, jedes Verkehrsschild kostet rund 350 Euro.
Auch in Berlin könnte das Konzept nach Ansicht der grünen Fachfrauen Anwendung finden - Problemecken gäbe es genug. Das Schlesische Tor etwa sei ein besonderer Verkehrsbrennpunkt. "Dort gibt es eine der höchsten Unfallraten Berlins. Die Großkreuzung ist unübersichtlich und unstrukturiert. Häufig werden Fußgänger von Rad- oder Autofahrern angefahren", sagt Stadtplanerin Kapek.
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