: Verheiratet mit elf
■ Der indische Film Bandit Queen erzählt, wie aus einem Opfer ein Täter wird
Die Nachrichten, die den normalen westlichen Medienbenutzer aus Indien erreichen, sind wohl kaum auf einen Nenner zu bringen. Reisefeatures und politische Reportagen kolportieren immer wieder aufs neue das Bild eines Landes, das weiterhin vom überkommenen Kastenwesen, von religiösen Differenzen und traditionellen Sozialstrukturen geprägt ist – es ist wohl auch noch zu einem gutem Teil so. Auf der anderen Seite erfährt man gelegentlich, daß Indien eine der größten Filmindustrien der Welt besitzt und seine Computerprogrammierer beispielsweise längst Weltstandard erreicht haben.
Diese Ambivalenz von archaischen und modernen Elementen spiegelt sich auch in dem Film Bandit Queen wider, den der indische Regisseur Shekhar Kapur nach einer wahren Begebenheit gedreht hat und der – nachdem er mit Erfolg auf den Festivals von Cannes, Toronto und Vancouver lief, in Indien selbst aber nur zensiert gezeigt werden sollte – jetzt auch in Hamburg zu sehen ist.
Das Archaische betrifft dabei die Geschichte, die der Film erzählt. Sie ist überlebensgroß und handelt davon, wie aus einem Opfer ein Täter wurde. Es ist die Geschichte der Phoolan Devi, die mit elf Jahren verheiratet wurde, ihrem Mann weglief, fortan ohne Schutz der Männerwillkür ausgeliefert war, vergewaltigt wurde und sich schließlich als Anführerin einer Banditenbande an ihren Peinigern rächte. Im europäischen Kulturkreis muß man weit zurückgehen, um eine vergleichbare Geschichte zu finden. Höchstens in der griechischen Tragödie gibt es ähnliche Frauengestalten.
Wie nun aber Regisseur Shekhar Kapur mit der Geschichte umgeht, das ist modern – und gekonnt. Vom Schnitt und der Kameraführung her hängt Bandit Queen so manche teure Hollywood-Produktion ab. Und in der Szene, in der Phoolan Devis, sich in einen Blutrausch hereinsteigernd, ein Pogrom anrichtet, spielt ein Kleinkind eine ähnliche Rolle wie der berühmte Kinderwagen in Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin. So ist Bandit Queen aus einem ganz banalen Grund sehenswert: weil er ein guter Film ist.
Dirk Knipphals
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