Verheerende Umweltbilanz: Mund zu und rein
Der größte Teil der Gewässer im Norden ist in einem schlechten Zustand. Auch das Trinkwasser ist bedroht. Warum, weiß die Bundesregierung nicht.
Nach der Auswertung der Bundesregierung sind somit im ganzen Norden nur 56 von 304 untersuchten Seen in einen guten oder sehr guten ökologischen Zustand, 45 in einem schlechten.
Geradezu desaströs sieht es bei Bächen und Flüssen aus. Von 3.015 sind lediglich 90 – gerade mal drei Prozent – in gutem oder sehr gutem Zustand, aber 559 – knapp 19 Prozent – in schlechtem. Nach Ansicht von Meiwald ist das die Schuld der großen Koalition, die habe den Gewässerschutz „seit Jahren sträflich vernachlässigt“.
Die aber plädiert auf Unwissenheit, wenn sie nach den Ursachen für die Gewässerbelastung gefragt wird: Klimawandel, Nährstoffbelastung, Einträge von Feinsedimenten, Pflanzenschutzmittel, organische Schadstoffe und anderes mehr spiele da eine Rolle, so die Antwort. Und weil sie auch noch miteinander interagieren würden, sei „das Erkennen von Kausalbeziehungen“ schwierig: „Gegenwärtig ist keine eindeutige Differenzierung möglich.“
Laut Antwort der Bundesregierung sind die Flüsse in Norddeutschland in folgendem Zustand:
sehr gut: 0
gut: Mecklenburg-Vorpommern (MV) 29, Niedersachsen (Ni) 24, Schleswig-Holstein (SH) 37
mäßig: Bremen (HB) 6, Hamburg (HH) 22, MV 352, Ni 424, SH 457
unbefriedigend: HB 4, HH 1, MV 310, Ni 692, SH 67
schlecht: HB 2, MV 148, Ni 382, SH 27
Bei Seen ist der Zustand:
sehr gut: MV 10
gut: MV 25, Ni 9, SH 12
mäßig: HH 1, MV 82, Ni 8, SH 20
unbefriedigend: MV 55, Ni 6, SH 30
schlecht: HH 1, MV 29, Ni 4, SH 11
Die aber ist dringend nötig, denn alle Mitgliedstaaten der EU hätten bereits bis 2015 einen guten ökologischen Zustand ihrer Gewässer erreichen sollen, müssen dies aber spätestens bis 2027 nachweisen. Das fordert die europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). Grundwasser und Oberflächengewässer sollen demnach frei von Schadstoffen und zu vielen Nährstoffen sein.
Schon im April vorigen Jahres hatte die EU-Kommission beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen Deutschland eingereicht, weil hier die EG-Nitratrichtlinie nicht umgesetzt werde und zu hohe Nährstoffeinträge in die Gewässer gelängen. Dass „Belastungen durch Nitrat aus der Landwirtschaft“ die Hauptursache für schlechte Wasserqualität seien, hatte die Bundesregierung damals eingeräumt.
Meiwald fordert deshalb „endlich eine wirkliche Agrarwende, um die Umwelt zu schützen und die bäuerliche Landwirtschaft zu erhalten“. Außerdem müsse der Bund eine verschärfte Düngemittelgesetzgebung erlassen, „die auch dem Gewässerschutz dient“. Das tut der Bund angeblich gerade mit der Überarbeitung der Düngeverordnung. Deren wichtigstes Element, die „Stoffstrombilanzverordnung“ soll noch vor der Sommerpause vom Bundestag verabschiedet werden. Damit werden Bauern verpflichtet, nachzuweisen, wie viel Stickstoff in ihren Betrieb fließt und wie viel ihn wieder verlässt – allerdings gibt es reichlich Ausnahmen. Umweltverbände kritisieren die Novelle deshalb als zu lasch.
Trinkwasser wird teurer
In der Konsequenz befürchten Umweltgruppen, die deutsche Wasserwirtschaft und auch das Umweltbundesamt (UBA) in Dessau steigende Kosten für Trinkwasser. Wegen der intensiven Düngung der Felder seien nicht nur Seen und Flüsse, sondern auch die Grundwasserleiter mit Nitraten hoch belastet. Das Wasser müsse deshalb schon bald mit hohen Kosten aufbereitet werden. Laut einer aktuellen Studie könne dies die Trinkwasserkosten um 55 bis 76 Cent pro Kubikmeter erhöhen. Das entspreche einer Preissteigerung von 32 bis 45 Prozent. Eine vierköpfige Familie müsste dann bis zu 134 Euro im Jahr mehr bezahlen.
Allerdings beschreibt der ökologische Zustand nicht die Eignung eines Gewässers zum Schwimmen. Laut UBA ist die Qualität der deutschen Badegewässer hervorragend und zum baden vollkommen unbedenklich. Nur schlucken sollte man das Wasser besser nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?