Verhandlung in Leipzig: Schicksalsfragen an der Elbe
Ausbaggern oder nicht? Das Bundesverwaltungsgericht verhandelt, ob Hamburg weiter von riesigen Containerschiffen angelaufen werden kann.
Gut sehe es aus – sagen Kläger wie Beklagte im Verfahren um die Elbvertiefung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Nach dreitägiger Verhandlung will das Leipziger Bundesgericht in letzter Instanz am 9. Februar 2017 sein Urteil fällen, gab der Vorsitzende Richter Rüdiger Nolte am Mittwoch bekannt.
Es geht um eine „Schicksalsfrage“, so sehen es der Bund, die Stadt Hamburg und die norddeutsche Hafenwirtschaft. Ohne Ausbaggerung der 120 Kilometer langen Unterelbe zwischen Hamburg und der Nordsee könne der Hafen von den Containergiganten nicht vollbeladen angelaufen werden: Es drohten Konsequenzen für Arbeitsplätze, Steuereinnahmen und Wirtschaftswachstum in der Region, in der etwa 150.000 Jobs vom Hafen abhängig sind.
Einen vorläufigen Baustopp hatte das Bundesverwaltungsgericht bereits im Oktober 2014 auf Klage der Umweltverbände BUND, Nabu und WWF verhängt. Denn diese befürchten schwerwiegende ökologische Schädigungen von Flora und Fauna an der Unterelbe: Sie ist Heimat diverser seltener oder vom Aussterben bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Nach einer Vertiefung drohe zudem bei Flut die Nordsee höher und schneller in das Flusssystem einzudringen – die Folgen wären möglicherweise Überflutungen der sensiblen Flachwasserzonen, eine Gefährdung der Deiche und der tiefergelegenen Uferzonen in Hamburg selbst.
Das Bundesverwaltungsgericht muss zudem entscheiden, ob das Vorhaben einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum EU-Wasserrecht vom 1. Juli 2015 gerecht wird. Der hatte geurteilt, dass auch ökologische Verschlechterungen in Teilbereichen eine Verschlechterung des Gewässerzustandes insgesamt bedeuten – und deshalb zu untersagen sind. Ausnahmen seien nur möglich, wenn ein Bauvorhaben großen Nutzen habe „für die menschliche Gesundheit, die Erhaltung der Sicherheit der Menschen oder die nachhaltige Entwicklung“.
40 Millionen Kubikmeter Schlick
Eben das behaupten der Bund, der Hamburger Senat und die örtliche Hafenwirtschaft. Sie hoffen zumindest auf eine Ausnahmegenehmigung. Dagegen bestreiten die Umweltverbände, dass die Ausbaggerung überhaupt notwendig ist. Auch jetzt laufen die weltgrößten Containerschiffe Hamburg an, wenn auch nur mit halber Ladung. Zudem wollen die Verbände eine Kooperation der Nordseehäfen Hamburg und Bremerhaven mit dem neuen Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven erreichen: Dort sollten die Riesenpötte einen Teil ihrer Container abladen und nur mit halber Fracht und deshalb weniger Tiefgang weiterfahren.
Das aber hält Hamburg für unrealistisch und besteht auf der Ausbaggerung der Zufahrt. Dafür müssen etwa 40 Millionen Kubikmeter Schlick – das sind etwa 2,5 Millionen Lkw-Ladungen – aus dem Fluss gebaggert und in die Nordsee gekippt werden, die Kosten, rund 760 Millionen Euro, tragen Hamburg und der Bund.
In sieben Wochen entscheiden die Leipziger Bundesrichter, ob sie das Geld sparen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind