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Verhandlung im Fall Harvey WeinsteinKeine Vergewaltigung ohne Gewalt

Valérie Catil
Kommentar von Valérie Catil

Der ehemalige Filmproduzent steht in New York wieder vor Gericht. Zuvor sollte einer Klägerin verboten werden, das Wort „Gewalt“ zu verwenden.

Ein Kategorie für sich: Harvey Weinstein vor Gericht am 15. April 2025 Foto: Sarah Yenesel/pool epa/ap/dpa

E s scheint Vergewaltigungen zu geben, die gewaltfrei vonstattengehen. Es war eine solche Form der Vergewaltigung, wegen der Harvey Weinstein 2020 in New York verurteilt wurde – eine Vergewaltigung dritten Grades („third degree rape“), wie man sie im US-amerikanischen Recht bezeichnet. Die Geschworenen sprachen ihn damals von der Vergewaltigung ersten Grades frei, die ihm die Schauspielerin Jessica Mann vorwarf.

Bei einer Vergewaltigung ersten Grades übt der Täter physische Gewalt aus oder droht sie an. Sie ist die schwerwiegendste Form. 1967 wurde diese Abstufung im New Yorker Recht eingeführt und galt damals als progressiv, denn sie erlaubte eine nuanciertere Betrachtung: Eine Vergewaltigung gilt seitdem auch als solche, wenn das Opfer genötigt oder manipuliert wird oder wenn es urteilsunfähig ist. Dass die Abstufung dennoch zu wünschen übrig lässt, zeigt der Fall Weinstein.

Da sein Urteil von 2020 wegen eines Verfahrensfehlers kassiert wurde, beginnt der Prozess von vorn. Die Schuldsprüche müssen neu verhandelt werden, die Freisprüche bleiben bestehen.

Heißt: Ob der ehemalige Filmproduzent Gewalt angewendet hat, steht nicht zur Diskussion. Prompt stellte seine Verteidigung einen Antrag, der es Jessica Mann verbieten sollte, das Wort „Gewalt“ („force“) zu verwenden, wenn sie über Weinsteins mutmaßliche Vergewaltigung spricht. Der Richter gab dem Antrag zunächst statt, nahm seine Entscheidung am 10. April jedoch wieder zurück: Jessica Mann darf weiterhin von „Gewalt“ sprechen.

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Der Täter überschreitet eine Grenze

Einer Vergewaltigung wohnt Gewalt inne. Auch linguistisch gesehen. Ganz offensichtlich ist das im Deutschen, wo die Gewalt lediglich in einem Präfix und einem Suffix eingehüllt wurde, man sie also kaum verheimlichen kann. Oder im Französischen, wo man die Vergewaltigung „viol“ nennt, abgeleitet vom lateinischen „violare“, also jemandem Gewalt antun, jemanden verletzen oder misshandeln. „Violer“ kann man auf Französisch nicht nur eine Person, sondern auch ein Gesetz, jemandes Ehre, ein Grab, ein Versprechen oder einen Vertrag. In jedem Fall überschreitet der Täter eine Grenze.

Das englische Wort „rape“ ist dagegen nicht ganz so explizit. „Rape“ kommt vom lateinischen „rapere“, das ursprünglich so viel wie „entreißen“, „mit Gewalt ergreifen“ oder „entführen“ bedeutete. Spätestens in der Mitte des 15. Jahrhunderts wurde das Wort semantisch angereichert, meinte die Vergewaltigung einer Person, und die alte Bedeutung, die ebenfalls Gewalt impliziert, wurde obsolet. Das Wort „Raptor“, das etwa für Dinosaurier verwendet wird und so viel wie „Räuber“, „Plünderer“ oder „Entführer“ bedeutet, hat im Übrigen denselben Ursprung.

Wie kann es sein, dass sich Weinstein über die Sprache seiner Tat hinweggesetzt hat – also zwar vergewaltigt haben soll, ihm dies jedoch gelungen sei, ohne Gewalt anzuwenden? Eine Vergewaltigung dritten Grades wird im New Yorker Recht definiert als Sex mit einer Person ohne deren Zustimmung – also Konsens. Fehlender Konsens liege dann vor, wenn der Kläger oder die Klägerin eindeutig zum Ausdruck gebracht habe, dass er oder sie nicht in die Handlung einwillige. Wenn eine vernünftige Person in der Situation des Akteurs oder der Akteurin diese Worte als Ausdruck der fehlenden Einwilligung hätte verstehen können, fehlt Konsens. Wie macht der Täter weiter, nachdem sein Opfer zum Ausdruck gebracht hat, dass es nicht einverstanden ist? Wie anders als mit Gewalt?

Ist es ein Kategorienfehler, überhaupt von „nonconsensual sex“ zu sprechen, wie es im US-Gesetz steht? Jeder Sex, der ohne Konsens stattfindet, ist kein Sex mehr, sondern eine Gewalttat, ein Verbrechen – eine Vergewaltigung. Verletze ich jemanden mit einem Messer, kann ich den Akt kaum mehr Kochen nennen. Eine Vergewaltigung nichtkonsensuellen Sex zu nennen, betrachtet den Akt illusorisch, möglicherweise aus der Perspektive mancher Täter. Andere Täter sind sich der Gewalt natürlich bewusst – sie ist genau das, wonach sie suchen.

Auch Weinstein sah die Handlung so, als ob sie ihm zustünde. Er und die Klägerin Jessica Mann waren zuvor in einer Beziehung und hatten immer wieder konsensuellen Sex. Sie beschreibt ihn als väterliche, sich kümmernde Person. Auch beruflich gab es ein Machtgefälle: Er der mächtige Filmproduzent, sie die junge Schauspielerin. Laut Mann soll Weinstein sie im März 2013 in einem New Yorker Hotelzimmer gefangen gehalten haben, wo er ihr befahl, sich auszuziehen, sie bedrohte und dann vergewaltigte.

Auch wenn Sprache unpräzise sein kann, verrät sie – egal ob „rape“, „viol“ oder „Vergewaltigung“ – etwas, das in der Rechtssprache verloren geht, vielleicht sogar übersehen wird: dass es keine Penetration gegen den Willen einer Person ohne Gewalt geben kann. Sicher ist eine Abstufung, die es erlaubt, manche Vergewaltigungen schlimmer als andere zu kategorisieren, notwendig – solange man keinen Denkfehler begeht und glaubt, eine Vergewaltigung dritten Grades sei gewaltfrei. Dass das Opfer das Wort „Gewalt“ aussprechen darf, ist demnach das Mindeste.

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Valérie Catil
Gesellschaftsredakteurin
Redakteurin bei taz zwei, dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Studierte Philosophie und Französisch in Berlin. Seit 2023 bei der taz.
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1 Kommentar

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  • So verdammenswert die Taten und so widerliche und verurteilenswerte diese Type ist, schlechtes Argumentieren tut einer gerechten Sache nur unrecht. Semantische Exegese ist der allerschlechteste Startpunkt. Im Wort Gewaltenteilung steck auch das Wort "Gewalt" drin, was aber kein Involviertsein von Gewalt impliziert. "nonconsensual sex" ist kein Kategorienfehler sondern allenfalls eine "contradictio in adiecto" (zur Auffrischung: "Sex ist ein Schienefahrzeug" wäre z.B. ein Kategorienfehler). Und ob eine contradictio in adiecto vorliegt, hängt vom Begriffsumfang von "sex" ab. Ist damit ein im Recht kodifizierter Vorgang beschrieben, zu dessen Voraussetzungen beiderseitige Zustimmung als Eigenschaft sine qua non gehört, liegt eine contradictio in adiecto vor. Sieht das Recht jedoch unter der Bezeichnung "sex" lediglich einen technischen Vorgang ohne weitere Merkmale, ist "nonconsensual sex" lediglich eine zusätzliche Bestimmung dieses Vorgangs. Das mag man für eine falsche Definition im Sinne der Kodifizierung halten und für dringend korrekturbedürftig. Die (gewöhnliche) Rechtsprechung hat sich aber an das kodifizierte Recht zu halten, nicht an unsere (wiewohl berechtigten) Wünsche...