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Verhaftung von Messina Denaro jährt sich„Die Mafia ist immer die Mafia“

Maurizio de Lucia hat die Ermittlungen gegen den Mafiaboss Matteo Messina Denaro geleitet. Die Cosa Nostra sieht er geschwächt, aber weiter gefragt.

Giuseppe Cimarosa war schon immer aktiv gegen die Mafia – am 19. Januar 2023 feierte er die Verhaftung seines Onkels Messina Denaro Foto: Remo Casilli/rtr

taz: Herr de Lucia, wie haben Sie den Tag der Festnahme von Matteo Messina Denaro vor genau einem Jahr in Palermo erlebt?

Im Interview: 

Maurizio de Lucia leitet seit 2022 die Staatsanwaltschaft in Palermo. In der Justiz seit 1990 hat er die Zeit der gewalttätigen Anschläge vor Ort miterlebt. Er steht unter permanentem Personenschutz.

Maurizio de Lucia: Eigentlich begann das Ganze schon früher, am Morgen des 14. Januar. Seit diesem Tag hatten wir nämlich Grund zu der Annahme, dass es sich bei dem Andrea Bonafede, der am Montag, dem 16. Januar, einen Termin in der Privatklinik La Maddalena in Palermo hatte, in Wirklichkeit um Matteo Messina Denaro handelte. Hier beginnt der letzte Teil einer sehr langen Geschichte. An diesem Montag habe ich mich mit dem Kollegen Paolo Guidi, der die Ermittlungen mit mir durchgeführt hat, schon um 6.50 Uhr getroffen. Dann haben wir vom Büro aus in anderthalb Stunden alles getan, was möglich war, die Carabinieri mussten an Ort und Stelle arbeiten, und wir standen hier fast blind und warteten auf Informationen, auch wenn Drohnen die Situation überwachten.

Woher wussten Sie, dass Andrea Bonafede einen Termin hatte?

M. Messina Denaro

Der Mann Matteo Messina Denaro wurde 1961 in Westsizilien geboren und starb an einer Krebserkrankung im September 2023 im Gefängnis von L’Aquila, Abruzzen. Schon sein Vater Francesco war ein Boss der lokalen Gliederung der sizilianischen Mafia Cosa Nostra.

Er galt nach den Bossen Salvatore Riina und Bernardo Provenzano als letzter prominenter Hauptverantwortlicher für die Strategie der terroristischen Konfrontation der Cosa Nostra mit dem italienischen Staat und wurde unter anderem für die tödlichen Anschläge auf die Antimafiarichter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino verurteilt.

Seit Sommer 1993 war Matteo Messina Denaro untergetaucht. Am 16. Januar 2023 wurde er in Siziliens Hauptstadt Palermo in einer Klinik verhaftet, in der er sich unter falscher Identität behandeln ließ.

Messina Denaro hat in Haft alle Vorwürfe abgestritten und eine Zusammenarbeit mit den Behörden abgelehnt.

Das Buch Maurizio de Lucia, Salvo Palazzolo: „La cattura. I Misteri di Matteo Messina Denaro e la mafia che cambia“, Feltrinelli, 2023.

Wir haben den Server der Klinik schon länger überwacht. Als wir registrierten, dass Andrea Bonafede sich anmeldete, wurde der Alarm ausgelöst. Messina Denaro, den wir da noch nicht identifiziert hatten, wartete nach der Anmeldung auf dem Parkplatz darauf, aufgerufen zu werden, es waren noch die Zeiten von Corona. Er war ruhig. Die Carabinieri schlossen alle Türen. Wir identifizieren ihn, das Bild der Kameras wurde auf alle Handys übertragen. Hier im Büro hatte mein Kollege Guida sich die Jacke angezogen, er ist vom Temperament noch süditalienischer als ich, in dem Sinne, dass er aufgeregt hin und her lief und alle fünf Minuten sagte: „Er ist entkommen, er ist entkommen.“

Verständlich!

Dann ruft ein Journalist an und fragt mich, was in der Maddalenaklinik los sei, große Bewegung, Carabinieri. Ich sage ihm, ich wisse es nicht, das sei wohl irgendeine Kontrolle, aber ein paar Minuten später kam die Bestätigung, dass wir ihn gefasst hatten. Es gab einen, wie ich finde, berechtigten Moment der Genugtuung für alle Anwesenden. Aber dann wurden wir vernünftig. Wir waren daran interessiert, ihn zu fassen, wollten aber auch so viele Informationen wie möglich bekommen, und so begannen die Durchsuchungen, wir identifizierten das Haus, in dem er sich versteckt hatte, und so weiter.

Wie haben die Menschen während und nach der Aktion reagiert?

Es gab ein wenig Unmut, weil Menschen nicht in die Klinik kamen beziehungsweise nicht rauskonnten. Aber es gab keine großen Proteste. Und das ist ein wichtiger Fakt für Palermo: Das Bild von ganz normalen Menschen, die den Carabinieri applaudieren. Das zeigt, dass die einfachen Leute nicht mehr neutral sind, sondern auf der Seite des Staates stehen. Das ist ein positiver Indikator für das zivile Wachstum Palermos.

Wie hat sich die Politik verhalten?

Die Politik hat die Festnahme für sich ausgenutzt. Das kann sie auch ruhig tun. Es kommt auf die Perspektive an. Wenn das Ganze als Sieg einer politischen Partei gesehen wird, derjenigen, die gerade regiert hat, dann ist das falsch. Wenn sie aber als Sieg des ganzen Landes angesehen wird, das geschlossen gegen die Mafia gekämpft hat, dann ist es eine gute Sache.

Und die Reaktionen in der Gesellschaft?

Die kulturellen Räume – nennen wir sie mal so – in diesem Land haben zehn Minuten nach der Festnahme angefangen, darüber nachzudenken, warum er gefasst wurde, warum das nicht früher gelungen ist. In den wenigen öffentlichen Erklärungen, die ich abgegeben habe, habe ich diese Leute Verschwörungstheoretiker genannt. Denn für sie zählt nicht, was real passiert, sondern was sie darüber denken. Man kann nicht eine Stunde vor der Festnahme sagen, dass „der Staat Messina Denaro seit zehn Jahren beschützt“, und eine Stunde später: „Wer weiß, warum er festgenommen wurde“ – ich zitiere hier den Experten Nando dalla Chiesa.

Die Mafia funktioniert nicht ohne Maschinengewehre

Aber die Frage liegt ja nahe: Wie kommt es, dass der Staat Messina Denaro nicht früher gefasst hat?

Eine einfache Antwort darauf kann ich nicht geben. Meine Aufgabe ist es, die Personen zu finden, die einen konkreten Beitrag zu diesem Untertauchen geleistet haben. Neun von ihnen wurden bereits identifiziert und vor Gericht gestellt, die letzte Verurteilung war gerade am vergangenen Freitag. Dann gibt es natürlich Dinge, die ich nicht sagen kann. Aber fest steht, dass Messina Denaro davon profitierte, dass er sich in dem Gebiet, wo er sich befand, auf die Leute verlassen konnte.

In Campobello di Mazara in der Provinz Trapani, nahe seinem Geburtsort.

Genau. Er lebte in einem Klima, in dem viele Leute wussten, wer er war, und alle so taten, als wüssten sie es nicht. Zudem kann man davon ausgehen, dass es in den staatlichen Institutionen korrumpierte Elemente gab. Aber im Lauf von 30 Jahren sind die vermutlich bereits ausgeschieden. Was aber das Schlimmste ist: Messina Denaro lebte nicht nur im Untergrund, sondern er war jemand, der aus diesem Untergrund heraus bis zum Schluss an der Spitze der Cosa Nostra stand. Die Organisation bot ihm ein Schutznetz, medizinische Versorgung, Reisen und Urlaube. Es gab regelmäßige Treffen, bei denen viele Mafiageschäfte besprochen wurden, insbesondere im Zusammenhang mit Ausschreibungen in der Baubranche.

Er war kein passiver Flüchtling?

Nein, ganz und gar nicht. Er war sehr aktiv.

Was ist die Cosa Nostra heute?

Die Cosa Nostra ist sicherlich eine kriminelle Vereinigung. Denn man muss einen vagen Begriff von Mafia von einer organisierten kriminellen Struktur unterscheiden. Das ist es, was uns Giovanni Falcone gelehrt hat: Wenn alles Mafia ist, ist nichts Mafia. Die Cosa Nostra hat ihre Kräfte immer jenem Teil der Gesellschaft zur Verfügung gestellt, der die Illegalität den Regeln des Rechtsstaates vorgezogen hat: der mafiösen Bourgeoisie. Charakteristisch für die Cosa Nostra sind die Kommunikationskanäle zwischen der Mafia­or­ga­nisation einerseits und einem wichtigen Teil der politisch-administrativen Klasse in Sizilien andererseits, insbesondere in Palermo. Dieser Austausch hat es der Organisation ermöglicht, sich zu einem politischen Player zu entwickeln. Dank der Arbeit des Staates befindet sich die Cosa Nostra in einem Moment der Schwäche, es gibt keine strategische Ausrichtung mehr. Die Regeln, die es den Mafiosi erlauben, Mafiosi zu sein, bleiben jedoch bestehen, derzeit auf niedrigem Niveau. Das Thema, an dem sie arbeiten – und wir entsprechend auch –, ist, dass sie, um wieder stark zu werden, Geld brauchen. Und das haben sie nicht, relativ gesehen natürlich, denn die Beschlagnahmung ihrer Vermögenswerte der vergangenen 30 Jahre war sehr wichtig. Wie kommen sie also illegal und schnell zu viel Geld? Mit Drogenhandel. Und in der Tat sehen wir derzeit eine ganze Reihe von neuen Geschäftsbeziehungen, insbesondere mit der kalabrischen Mafia ’Ndrangheta.

Wie gefährlich ist die Cosa Nostra?

Die Cosa Nostra konspiriert und korrumpiert, aber wir dürfen nie vergessen: Wenn die Korruption nicht funktioniert, ist die militärische Macht immer der zentrale Punkt, mit dem man rechnen muss. Die Mafia funktioniert nicht ohne Maschinenpistolen in Reserve. Das ist ihr Wesen, sonst macht sie keine Geschäfte und zählt nichts. Die Mafia ist immer die Mafia.

Wie blicken Sie in die Zukunft?

Derzeit ist das große Risiko, dass ein Teil der erwähnten mafiösen Bourgeoisie, der immer mit der Cosa Nostra in Verbindung war, weiter mit ihr Geschäfte machen will – ohne vielleicht zu verstehen, wie schwach sie geworden ist. Aber die Cosa Nostra ist ein elastisches Gebilde. Und genau dieser offene Kanal ist einer der Gründe, warum sie wieder stark werden kann. Unser Hauptthema bei den Ermittlungen ist deswegen nicht das aktuelle Angebot der Mafia, sondern es ist die Nachfrage nach ihren Dienstleistungen.

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