piwik no script img

Vergünstigungen für ÄrzteEs geht um sehr viel Geld

Sind Ärzte bestechlich? Die Krankenkassen schlagen Alarm. Der Bundesgerichtshof entscheidet darüber lieber in allerhöchster Instanz.

Heikle Sache: Korruption bei Ärzten. Bild: dpa

BERLIN taz | Können sich Kassenärzte wegen Bestechlichkeit strafbar machen? Diese Frage musste am Donnerstag der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) entscheiden und hat sie völlig überraschend doch nicht entschieden. "Wegen der großen Bedeutung der Sache" wurde die Frage nun dem Großen Strafsenat des BGH vorgelegt. Ein ungewöhnlicher Schritt.

Konkret ging es um das Unternehmen Pro Medica Homecare in Willich, das Geräte für Reizstromtherapie vertreibt. Sie werden vor allem zur Nerven- und Muskelstimulation, etwa nach Unfällen, eingesetzt. Die Geräte werden nach ärztlicher Verschreibung überwiegend von Patienten zu Hause benutzt. Nach Feststellungen der Staatsanwaltschaft Verden belohnte Pro Medica die Ärzte, die besonders viele Reizstromgeräte verordneten. Sie mussten für ihre Praxisgeräte geringere oder gar keine Leasingraten bezahlen. Immerhin 70.000 Verordnungen reichten Ärzte in den vier Jahren bis Ende 2008 bei Pro Medica ein.

Die Staatsanwaltschaft sah in dem System eine Bestechung der Ärzte. Diese würden die Geräte nicht (nur) aus therapeutischen Überlegungen verordnen, sondern (auch) um einen Vorteil zu erhalten. Ein Verfahren gegen den Geschäftsführer von Pro Medica wurde jedoch zunächst wegen Verbotsirrtum eingestellt. Er habe nicht wissen können, dass solche Zuwendungen strafbar seien. Im zweiten Anlauf versuchte die Staatsanwaltschaft den Gewinn von Pro Medica in Höhe von 350.000 Euro abzukassieren, denn dafür wäre keine individuelle Schuld der Pro-Medica-Chefs erforderlich. Nun entschied jedoch das Landgericht Stade, dass Zahlungen an Ärzte zurzeit gar nicht strafbar seien.

Staatsanwaltschaft ließ nicht locker

Die Staatsanwaltschaft ließ aber nicht locker, sondern legte Revision beim BGH ein. Die Frage betrifft einen Riesenmarkt, schließlich versuchen sich nicht nur die Hersteller von Reizstromgeräten Vorteile zu verschaffen, sondern wohl sehr viele Hersteller von Medizinprodukten, Geräten und vor allem Medikamenten.

Doch der BGH macht es jetzt noch einmal spannend und legte den Fall dem Großen Strafsenat des BGH vor. "Derzeit sind so viele Ermittlungsverfahren anhängig, dass bald auch andere BGH-Senate mit der Sache befasst sein werden", sagte der Vorsitzende Richter Jörg Uwe Becker zur Begründung. Um Rechtsunsicherheit in dieser "Grundsatzfrage" zu vermeiden, verzichte der 3. Strafsenat deshalb vorerst auf ein eigenes Urteil. Dem elfköpfigen Großen Senat gehören Vertreter aller Strafsenate sowie BGH-Präsident Klaus Tolksdorf an. Üblicherweise wird der Große Strafsenat nur angerufen, wenn ein Senat vom Urteil eines anderen Senats abweichen will.

Becker ließ allerdings keinen Zweifel daran, dass der 3. Strafsenat von ausgeht, dass sich Ärzte wie Firmen strafbar gemacht haben. Gleich zwei Delikte seien begangen worden. Zum einen liege "Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr" (§ 299) vor, zum anderen aber auch "Bestechlichkeit" als Amtsdelikt (§ 331). Vor allem Letzteres ist unter Juristen umstritten, weil der Arzt keiner bestimmten Krankenkasse angehört, sondern mit verschiedenen Kassen zusammenarbeite. Aber auch die Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr ist nicht eindeutig, weil die medizinischen Geräte und Medikamente nicht an die Krankenkasse, sondern direkt an den Patienten geliefert werden.

Der Ausgang des Verfahrens beim Großen Strafsenat ist also noch offen. Sollte allerdings am Ende eine Strafbarkeit verneint werden, wird dies sicher zum Ruf nach dem Gesetzgeber führen. Das Strafgesetzbuch kann auch geändert werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • R
    reblek

    "Aber auch die Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr ist nicht eindeutig, weil die medizinischen Geräte und Medikamente nicht an die Krankenkasse, sondern direkt an den Patienten geliefert werden." - Versuch eines Vetos: Soweit ich weiß, bleiben Geräte, die bei Apnoe verschrieben werden, im Eigentum der Krankenkasse und werden den Patienten lediglich zur Nutzung überlassen. Das sollte bei den hier beschriebenen Geräten wohl nicht anders sein.

  • G
    GWalter

    Diese Sache wird zum vielleicht größten Skandal neben den bekannten Zahlungen und Vergünstigungen aller Art der Pharmakonzerne an die Ärzte.

    Könnte es nicht sein, dass ein Arzt seine Patienten meistbietend an die Krankenhäuser verkauft? Undenkbar? Keineswegs! Es geht um Geld um sehr viel Geld.

    Brustkrebspatientinnen werden psychisch unter Druck gesetzt, damit sie alle nur möglichen Maßnahmen über sich ergehen zu lassen das volle Programm: Operation, Strahlenbehandlung Chemotherapie und Hormontherapie. Aufklärung über Nebenwirkungen? Fehlanzeige! Es wird ein Zettel rübergereicht, den die vollkommen benommene Patientin, kaum in der Lage ist, zu entziffern, zu verstehen schon gar nicht. Vielleicht bekommt sie es noch mit, dass sie eine um 10, 20 oder 30 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit hat, ein paar Jahre länger zu leben, wenn sie diese und jene Behandlung über sich ergehen lässt. Wie und in welchem Zustand sie länger lebt, darüber steht nichts auf dem Zettel.

    Ein 67jähriger Bekannter von mir war an Prostatakrebs erkrankt und sofort ins nächstgelegene Krankenhaus überwiesen worden, obwohl bekannt ist, dass man sich mit der Prostata, zumal im fortgeschrittenen Alter Zeit lassen, eventuell sogar vollkommen auf die Operation verzichten kann. Nach einem Jahr, und ständigen Schmerzen und Beschwerden war er wegen der verpfuschten Operation gestorben.

    Hörgeräteakustiker könnten darüber berichten, dass ihnen nicht selten von den Ärzten die jährlichen Geldbeträge diktiert werden, die sie für die Empfehlungen zu zahlen haben