Vergifteter Oppositioneller aus Russland: Ringen um die Nawalny-Untersuchung
Russland und Deutschland streiten über Informationen und die Ermittlungen im Fall Nawalny. Der Oppositionelle wurde am Montag aus dem Koma geholt.
![Nawalny in Nahaufnahme Nawalny in Nahaufnahme](https://taz.de/picture/4364437/14/Nawalny_Russland_Rechtshilfeersuchen_-1.jpeg)
Wie lange die Berliner Justiz braucht, um das Ersuchen der russischen Regierung zu bearbeiten, steht noch nicht fest. Ziemlich sicher scheint aber: Bevor die Antwort nicht in Moskau eingegangen ist, wird sich in der Causa Nawalny nichts bewegen. Zumindest sieht der Kreml in der Affäre Berlin am Zug. Seit Ende August warte die russische Generalstaatsanwaltschaft auf deutsche Informationen zum Fall Nawalny, hatte eine Regierungssprecherin am Sonntag in Moskau gesagt. „Berlin blockiert den Ermittlungsprozess, den es selbst gefordert hat“, sagte sie. „Passiert das mit Absicht?“
Nach übereinstimmenden Angaben beider Seiten ist tatsächlich schon am 27. August ein Rechtshilfeersuchen aus Russland beim Bundesamt für Justiz eingegangen. Welche Informationen Russland konkret haben möchte, ist unklar – dazu möchte sich auf Anfrage keine der beteiligten Parteien äußern. Möglich ist, dass es um die Analyse von Bundeswehr-Spezialist*innen geht, die nach eigenen Angaben Spuren des Nervengifts Nowitschok an oder in Nawalnys Körpers gefunden haben. Russische Ärzte behaupten, bei eigenen Analysen vor Nawalnys Ausreise habe man solche Spuren nicht gefunden.
Wie mit einem solchen Rechtshilfeersuchen aus dem Ausland umzugehen ist, regelt ein 251-seitiges Dokument. Die „Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten“ sehen vor, dass Justizministerium und Auswärtiges Amt den Antrag gemeinsam prüfen, ihn dann an die zuständige Justizbehörde zur Bearbeitung weiterleiten und hinterher noch einmal über die Bewilligung beraten.
Im Fokus: Nord Stream 2
Die Bundesregierung weist den Vorwurf zurück, diesen Prozess im Fall Nawalny zu blockieren. Einen Grund zur Ablehnung des Ersuchens gebe es nicht, sagte Außenminister Heiko Maas am Sonntag in der ARD. Der russischen Anfrage habe die Bundesregierung „längst zugestimmt“. „Längst“ heißt in diesem Fall, dass die Bundesregierung das Ersuchen am Freitag, acht Tage nach Eingang des Schreibens, an die Berliner Staatsanwaltschaft weitergeleitet hat.
Einem Sprecher des Auswärtigen Amtes zufolge sind acht Tage in einem solchen Fall nicht sonderlich viel. Im Vergleich zu anderen Fällen habe die Bundesregierung sogar „zügig“ gehandelt. Ohnehin sieht das Außenministerium in der Kritik aus Moskau eine Nebelkerze. Der Anschein, Russland sei für die Aufnahme von Ermittlungen auf Informationen aus Deutschland angewiesen, sei falsch. Nawalny sei in Sibirien erkrankt und zunächst auch dort behandelt worden. Alle Beweismittel und Zeugen befänden sich dort. Russland könne Untersuchungen daher schon jetzt durchführen.
Dass Moskau darauf reagiert, selbst den nächsten Schritt macht und den Ermittlungseifer erhöht, zeichnet sich allerdings nicht ab. Und die Bundesregierung erhöht den Druck ihrerseits nur sanft. Es sei an Russland, Antworten zu liefern, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag zwar erneut. Monatelang werde man darauf nicht warten. Es sei aber auch klar gewesen, dass nach einer ersten entsprechenden Forderung der Bundeskanzlerin am vergangenen Wochenende nicht innerhalb von „drei oder vier Tagen“ mit einer Reaktion zu rechnen war. Eine konkrete Frist nannte Seibert nicht.
Und was passiert, falls Russland auch in den nächsten Wochen aus Sicht der Bundesregierung nicht ausreichend ermittelt? Eindeutig geklärt ist das bislang ebenfalls nicht. In den letzten Tagen äußerten sich allerdings mehr und mehr Regierungsmitglieder offen für die Idee, Konsequenzen bei der Gaspipeline Nord Stream 2 zu ziehen. Außenminister Maas sagte am Wochenende der Bild, er hoffe nicht, „dass die Russen uns zwingen, unsere Haltung zu Nord Stream 2 zu ändern“. Angela Merkel ließ am Montag verlauten, sie halt es für falsch, Konsequenzen auszuschließen. Bisher hatte sie stets dafür geworben, die Pipeline und politische Fragen nicht miteinander zu vermischen.
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