Vergiftete Milch in China: Beruhigungsgesten
Über 50.000 Kinder sollen nach Konsum Melamin-verseuchter Milchprodukte erkrankt sein. Der Chef der staatlichen Qualitätskontrolle in China musste zurücktreten.
PEKING taz Der Skandal um vergiftete Milch in China gerät immer mehr zur nationalen Krise. Das chinesische Gesundheitsministerium meldete am Montag, dass etwa 13.000 Säuglinge mit Nierenproblemen nach dem Verzehr von Melamin-kontaminierter Babynahrung im Krankenhaus behandelt werden müssten. Damit hat sich die Anzahl der Fälle seit dem Wochenende nahezu verdoppelt. Einen Grund nannte das Ministerium dafür nicht. Insgesamt brauchen rund 53.000 betroffene Sprösslinge ärztliche Behandlung. Vier Kinder sind bislang an den Folgen des kontaminierten Pulvers, das hauptsächlich vom Hersteller Sanlu stammt, gestorben.
Die chinesische Führung demonstrierte Entschlossenheit. Als erster hoher Beamter musste am Montag der Chef der staatlichen Qualitätskontrolle, Li Changjiang, seinen Posten räumen. Zuvor hatte sich Premierminister Wen Jiabao öffentlich bei den chinesischen Bürgern entschuldigt und von "extremen Schuldgefühlen" gesprochen. "Wir werden dafür sorgen, dass so etwas bei keiner Art von Lebensmitteln je wieder vorkommt", versprach Wen.
Wie zuletzt bei der schweren Erdbebenkatastrophe im Mai in Westchina suchte der beliebte Premier die Nähe zum Volk: Er beruhigte im Pekinger Kinderkrankenhaus weinende Kinder, hörte den besorgten Bewohnern im westlichen Fuxingmen-Nachbarschaftsviertel bedrückt zu und präsentierte Besuchern im Changan-Supermarkt das Konzept neuer Prüfkennzeichen. "Bitte glaubt uns", sagte Wen.
Bereits am Wochenende hatte Staats- und Parteichef Hu Jintao harsch kritisiert, dass sich einige Kader nicht um die Probleme und die Sicherheit der Bevölkerung geschert hätten. "2008 ist kein gewöhnliches Jahr", kommentierte die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua. "Wir haben schwere Naturkatastrophen besiegt, wir werden auch dieses von Menschen ausgelöste Desaster besiegen."
Auf Geheiß Pekings ist der Skandal in den öffentlichen Medien bewusst in den Hintergrund getreten. Die Pekinger Tagespresse widmete sich primär dem bevorstehenden Start der Weltraumfähre "Shenzhou 7" am 25. September. Ende der Woche hatte die beiden chinesischen Nachrichtenmagazine Finance und China Newsweek ausführlich über die Hintergründe des Vorfalls, u. a. auch über die Vertuschungsaktionen lokaler und zentraler Gesundheitsbehörden berichtet. Chinesische Internetbetreiber haben ebenfalls Order bekommen, Diskussionen um den Milchskandal möglichst klein zu halten. In den großen Portalen wie Netease, Tianya oder Mop finden sich anders als am Wochenende nur noch vereinzelt Beiträge.
Vergiftete Milchprodukte aus China haben auch in anderen Ländern zu Rückrufaktionen und verstärkter Besorgnis geführt. Behörden in Taiwan haben Instantkaffee und Milchteepackungen mit kontaminiertem Milchpulver aus der Volksrepublik aus dem Verkehr gezogen. In Singapur wurden Spuren von Melamin in der beliebten Bonbonmarke "White Rabbit Creamy Candy" aus China gefunden. Ein japanisches Unternehmen orderte tausend Brötchen zurück, die mit chinesischer Milch gebacken worden waren.
Die europäische Gemeinschaft hat vor sieben Jahren ein Importverbot gegen chinesische Milchprodukte verhängt. Die Weltgesundheitsorganisation kritisierte Peking, die ersten seit Mitte Juli bekannten Fälle über Nierensteine bei Kleinkindern durch vergiftetes Milchpulver nicht früher der internationale Gemeinschaft mitgeteilt zu haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!