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„Vergeßt mir den Mainzer nicht!“

Unterwegs mit Ministerpräsident Rudolf Scharping in der Provinz / Der SPD-Kanzlerkandidat in spe legt besonderen Wert auf Zurückhaltung und die Tugend des Zuhörens  ■ Aus Trier Klaus-Peter Klingelschmitt

Billard mag er nicht, der Mann aus Rheinland-Pfalz, weil da die schwarze Kugel nicht „versenkt“ werden darf. Und die „schwarze Kugel“ im Bundeskanzleramt, die würde er nur allzu gerne versenken: „Kohl als Rentner in Oggersheim – nicht die schlechteste Perspektive.“

Die Supernova Björn Engholm ist schlicht explodiert – und am sozialdemokratischen Firmament werden nun auch kleinere Sterne und Sternchen entdeckt. Auf Rudolf Scharping (45), den Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, wurden die Königsmacher aus der Baracke schon während der Debatte um den Solidarpakt aufmerksam. Und im katholischen Mainz wird seit Montag eine neue Legende erzählt. Noch kurz vor seinem Tod soll Willy Brandt über die „Enkel“ sinniert und dann gesagt haben: „Vergeßt mir den Mainzer nicht.“

Will der Mainzer tatsächlich Bundeskanzler werden? Das wußte der Mainzer, der eigentlich ein Koblenzer ist, auch am Mittwoch noch nicht so ganz genau. Ihn dränge zur Zeit „garnix“ nach Bonn, sagt er. Und mit welchem Partner er eventuell 1994 die „schwarze Kugel“ Helmut Kohl im tiefen Loch „versenken“ möchte, sagt er deshalb auch nicht. Ohnhin würden Koalitionen erst nach Wahlen installiert. Als Scharping 1991 eine Koalition installieren durfte, zeigte er den Grünen die kalte Schulter. Keine Ampel in Bonn mit Scharping?

Vorerst noch tobt Rudolf Scharping bei seinem Besuch im Jugend- und Kinderzentrum „Exzellenzhaus“ in Trier mit den kids über den grünen Rasen. Kondition hat er, der sozialdemokratische Ministerpräsident aus dem Land der Rüben und Reben. Scharping fängt die Bälle, die man ihm zuspielt. Aber in der SPD-Baracke in Bonn, sagt er mit trittfesten Fußballschuhen in der Hand, da müßten sie das gemeinsame Spiel erst noch lernen. Der schlanke Ex-Landesvorsitzende der Jungsozialisten, der sich nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten vorgenommen hatte, sich unters Volk zu mischen, absolvierte am Mittwoch eine „Kreisbereisung“. Und Scharping kommt gut an: Bei den SchülerInnen einer Hauptschule, deren Sprecherin er spontan zum festlichen Bürgerempfang einlädt. Bei den Müllsortierern im Trierer Moselhafen, von denen er sich mit Handschlag verabschiedet. Und auch bei den autonomen Jugendlichen im „Exzellenzhaus“, denen er zuhört und ihnen dabei tief in die Augen blickt.

„Zuhören können“, so war aus dem Umfeld des Ministerpräsidenten in der Staatskanzlei zu hören, sei eine der „hervorragendsten Tugenden“ von Rudolf Scharping. Und „Überzeugungsarbeit leisten“ eine andere. Wiederholt seien die zehn MinisterInnen in Mainz mit zehn verschiedenen Meinungen ins Chefbüro gegangen – „und mit einer Meinung kamen sie wieder heraus“. Scharping selbst äußert sich zum „Thema Scharping“ nur zurückhaltend: Am „Gestalten“ sei er schon interessiert, sagt er zwischen zwei Besuchsterminen im Kleinbus der Stadtverwaltung: „Alles auf der Basis klarer Zielvorgaben und mit einem guten Team.“ Und deshalb ärgert es ihn, daß bei der SPD in Bonn „ständig über Leute, und kaum noch über Sachpolitik“ geredet werde. Scharping kennt seine Partei und ihre Be- und Empfindlichkeit. Und Scharping kennt den uralten Spruch des ehemaligen hessischen Ministerpräsidenten Börner: „Wer bei der SPD dreimal genannt wird, wird nichts.“ Wer sich noch dazu selbst benenne, so ein Politprofi aus seinem Gefolge, dem werde als „Vorwitz“ schnell die „Nasenspitze abgeschnitten“.

Beim Mittagstisch im „Krokodil“ wird spekuliert: Einen Rheinland-Pfälzer gegen einen Rheinland-Pfälzer antreten zu lassen, das habe doch „Stil“, meinte einer aus dem Troß des Ministerpräsidenten. „Kohl mit seinen eigenen Waffen schlagen.“ Auf rund 200 Delegierte bei einem SPD-Bundesparteitag könne sich Scharping fest verlassen, wurde von einem SPD- Rechenkünstler gemutmaßt – „aber das reicht noch nicht“.

Am Nachmittag dann raus aus dem „Krokodil“ und mit Scharping rein in die Müllsortieranlage, der danach schnell das eigene politische Credo zum Interview vorsortiert. Vor spärlichem Grün am Rande der Industieanlage nennt Scharping die „wichtigsten bundespolitischen Aufgabenfelder“: „Wirtschaftlicher Fortschritt, Aufbau Ost und soziale Gerechtigkeit in ganz Deutschland.“ Es müsse Schluß gemacht werden mit den „grandiosen Fummeleien“ der Bundesregierung im Osten. Einmal in Fahrt gekommen, läßt er alle wissen, daß es in Ost und West eine „große Sehnsucht“ gebe, den Kohl loszuwerden: Beifall. Und deshalb wünsche er sich an der Spitze der SPD so entschlossene Leute wie an der Spitze der IG- Metall: großer Beifall. Doch dann tritt Scharping wieder auf die Bremse: „Ich will jetzt hier nicht in den Verdacht kommen, daß ich mich auf etwas vorbereite.“ Angst vor der eigenen Courage?

Und deshalb hat Scharping auch um ein Haus in Trier einen großen Bogen geschlagen: Um das Geburtshaus von Karl Marx. Und das exakt am 175. Geburtstag des Begründers des wissenschaftlichen Sozialismus, dem Mäner wie Ollenhauer und Brandt noch ihre Aufwartung machten.

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