Vergessene Fotografin Yolla Niclas: Typen wie in Döblins „Alexanderplatz“
Yolla Niclas war eine hervorragende Fotografin und die große Liebe des Autors Alfred Döblin. Eine Publikation von Eckhardt Köhn stellt ihr Werk vor.
Eine der interessantesten Publikationsreihen im Bereich der Zeit- und Fotogeschichte stammt vom Frankfurter Kulturwissenschaftler Eckhardt Köhn. Immer wieder holt er bemerkenswerte FotografInnen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus dem Dunkel der Vergessens hervor. So forschte er 2014 zu Mario von Bucovich (1884–1947), von dem man nicht viel mehr als seine Fotobände „Berlin“ (1928), „Paris“ (1928) und „Manhattan Magic“ (1937) kannte.
Weniger mysteriös und in den 1920er und 1930er Jahren eine Größe in Berlin ist Albert Vennemann (1885–1965). Aufgrund seiner Tätigkeit für die Stadtwerbung prägte Vennemann, wie Köhn 2015 darlegte, wesentlich das Bild Berlins als moderne Metropole. Jetzt hat Köhn die Geschichte der Fotografin Yolla Niclas recherchiert.
Charlotte Niclas, die 1900 in ein wohlhabendes, jüdisches Elternhaus in Berlin geboren wurde, war die große Liebe und heimliche Geliebte Alfred Döblins. Die Döblin-Forschung nimmt sie zwar wahr, doch wie üblich interessieren die hier prominenten Herren weder ihre Persönlichkeit noch ihr Schicksal. Geschweige denn, dass auch nur einer sie als ambitionierte Berufsfotografin wahrgenommen hätte.
Hausfotografin der Döblins
Als Niclas Döblin 1921 auf einem Faschingsball kennenlernt, hat sie ihre Ausbildung an der Photographischen Lehranstalt des als frühe Frauen-Bildungsinstitution berühmten Lette-Vereins abgeschlossen und arbeitet für Karl Freund, den stilprägenden Kameramann des deutschen Stummfilms, als Standfotografin. Der Beziehung zu Döblin fallen allerdings ihre beruflichen Ambitionen erst einmal weitgehend zum Opfer, sie wird vielmehr so etwas wie die Hausfotografin der Döblins, die den Schriftsteller und vor allem seine Kinder immer wieder porträtiert.
Eckhardt Köhn (Hrsg.): „Yolla Niclas und Alfred Döblin“. Fotofalle 3, Edition Luchs, Lautertal 2017, 140 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 24 Euro
Die Aufnahmen des Schriftstellers hatten ihr die Türen zu den Redaktionen geöffnet: „Ich hatte Titelseiten in den Zeitungen von Ullstein und Mosse … Oder es erschien ein Portfolio über mich selbst, wie in der ,Gebrauchsgrafik’ mit mehreren Seiten meiner Photographien.“ Herausragend ist eine Serie von Porträtaufnahmen somalischer Frauen und Kinder, die sie 1932 in Berlin traf. Andere fotografische Alltagsbeobachtungen zeigen Typen, wie sie in Döblins „Alexanderplatz“ auftauchen könnten. Ab 1932 politisiert sich die Fotografin und arbeitet bei der Gestaltung der Wahlkampfplakate der SPD mit.
1933 emigriert sie nach Paris, wo sie sich – nicht ganz selbstverständlich – als Berufsfotografin über Wasser halten kann. Dort trifft sie sich auch wieder mit Döblin. Gleichzeitig freundet sie sich mit dem aus Berlin emigrierten Rechtsanwalt Rudolf Sachs an und heiratet ihn. Es gelingt ihnen in die USA zu emigrieren. In New York findet Niclas relativ rasch Kontakt zu Louise Wolf-Dahl, der Stammfotografin von Harper’s Bazaar, und beginnt wieder zu fotografieren.
Fotoreportage für das Kinderbuch
Sie lernt Alfred Stieglitz kennen, dessen Ideen zur Fotografie sie in ihrer Auffassung, das Unsichtbare müsse und könne nur durch das Sichtbare verständlich werden, bestärkte. Stieglitz und seine Frau, die Malerin Georgia O’Keeffe, machen sie mit ihrem Freundeskreis und wichtigen Bildredakteuren bekannt. 1956 erscheint „David and the Sea Gulls“, Resultat ihrer Zusammenarbeit mit der Autorin Marion Downer. Ihre Fotoreportage über den Jungen, der eine verletzte Möwe findet und sie gesundpflegt, wird ein großer Erfolg. Weitere Kinderbücher folgen.
Als Niclas 1977 in Hartfort, Connecticut, stirbt, schreibt die Lokalpresse: „Yolla Niclas Sachs, the shy German-born photographer . . . died as she lived – quietly and without complaint. The pensive artist said recently, ‚there is nothing more I want to do than a good photograph‘ “. Das ist jetzt zu sehen in einem gut geschriebenen, sorgfältig recherchierten Forschungsbericht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass