Vergasungsdrohung von JuliensBlog: Die inszenierte Harmlosigkeit
Spinner oder Antisemit? Der Youtube-Star Julien Sewering will Streikende „nach Auschwitz fahren“ und sie „vergasen“. Das sei schwarzer Humor.
Julien Sewering sieht sich mittlerweile als Opfer. „Ich bin nicht derjenige, der das ganze Land lahmlegt, für Stau sorgt und jeden Tag 100 Millionen wirtschaftlichen Schaden verursacht“, sagt er. „Ich mache nur einen Witz.“
Vergangenen Dienstag veröffentlichte der Youtube-Star von JuliensBlog, einem der erfolgreichsten YouTube-Kanäle Deutschlands, ein Video, in dem er dazu aufrief, die streikenden Lokführer wie damals die Juden nach „Auschwitz zu transportieren“ und „zu vergasen“. Im Gegensatz zum „Hurensohnverein GDL“ würde er nicht streiken und den Zug gleich selbst fahren. Bloß schwarzer Humor eines Spinners oder blanker Antisemitismus?
Der YouTube-Kanal JuliensBlog zählt mittlerweile mehr als 1,24 Millionen AbonnentInnen. Der Kanal ist eine Mischung aus Rapbattles und persönlichen Kommentaren von Sewering. Das Format JuliensBlogBattle, in dem verschiedene unbekannte Rapper auf YouTube gegeneinander antreten, läuft bereits in der vierten Staffel. Der Gewinner bekommt 2.500 Euro.
Immer wieder äußert sich Julien aber auch zu anderen Themen: MigrantInnen, Frauen, Schwulen, Behinderten. In einem Video kommentiert er ein Frauenmagazin, spricht von „Fotzen“, von „Schlampen“ und empfiehlt Gesichtschirurgie. Er hat es zu seinem Markenzeichen gemacht, Dinge krasser als in den etablierten Medien zu sagen, auch wenn solche Ausdrücke längst kein Tabubruch mehr sind. Auf jedem Pausenhof fallen solche Begriffe.
Ideologischer Klassenkampf von oben
Sewering spielt mit mehrdeutigen Aussagen, mit Fiktion und Überspitzung, die sich jedoch oftmals aus diskriminierenden Ressentiments speisen. Der Holocaustvergleich und die – laut Sewering – gierigen Streikenden, die „Mistviecher“, die immer noch mehr Geld wollten – ein Zufall? Vielleicht. Auf jeden Fall gehen sie unter dem Deckmantel von Sarkasmus und schwarzem Humor leichter über die Lippen.
Die Beleidigungen unter der Gürtellinie, die er auch gegen sich selbst geradezu herausfordert, sind Selbstzweck – das funktioniert, auch als Geschäftsmodell. Mit seinem Blog habe er, so sagt er es selbst, bislang mehr als 500.000 Euro verdient. JuliensBlog ist so beliebt wie umstritten. Der Stoff, aus dem die Unterhaltungsbranche ihr Kapital zieht. Auf JuliensBlogWatch werden seit 2013 regelmäßig seine Videos analysiert. Sein neuestes Video zu den Bahnstreiks wird dort als ideologischer Klassenkampf von oben, als Parteinahme für die Arbeitgeber kritisiert.
Für viele ist Sewering ein harmloser Spinner, der sich mit den immer gleichen Sprüchen geschickt medienwirksam inszeniert.
Damit erreicht er ein breites, vornehmlich junges Publikum. Seine beliebtesten Videos wurden mehr als vier Millionen mal angeguckt. Zum Vergleich: Die Sendungen von Germany’s Next Topmodel schauten rund 2,2 Millionen. Sewering funktioniert in einem gefährlichen Zwischenraum von Jugendkultur und schwarzem Humor, was gerade für Jugendliche schwer zu decodieren sein dürfte.
Youtube will nicht löschen
Und das ist Teil des Problems, denn JuliensBlog existiert abseits des Satirekanons. Im Unterschied zu den Aussagen von Sewering ist beispielsweise Satire als solche zu erkennen. Der Lokalverband der Satirepartei „Die Partei“ aus Pfungstadt veröffentlichte zum Beispiel ein Foto mit der Aufschrift „Kauft nicht bei Lokführern“. Über Geschmacklosigkeit lässt sich diskutieren, nicht aber darüber, dass das Satire ist.
Das Erschreckende ist seine inszenierte Harmlosigkeit. Dazu gehören die HipHop-Battles, auf die viele Jugendliche abfahren, aber auch die bis zur Langeweile wiederholten Provokationen. Durch das neueste Video könnte eine breite gesellschaftliche Debatte über die Art der medialen Verbreitung und die Aussagen ausgelöst werden.
Gegen Sewering ist unterdessen eine Klage eingereicht worden. YouTube erklärte, man werde das Video nicht löschen, weil es nicht gegen die Community-Richtlinien verstoße.
Am Ende seiner Videos preist Julien Sewering seine neuesten Merchandise-Artikel an. Auf einem T-Shirt sieht man eine Person, die vor einen Zug springt. Darunter der Schriftzug: „Bring dich um!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen