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VergangenheitsbewältigungHanse versus EU

■ Abgucken vom Mittelalter: Die Hanse als ein Modell für moderne Netzwerke

Das Mittelalter ist modern. Jedenfalls behauptet das der Turiner Professor Angelo Pichierri. Unter dem Motto „Die Hanse – ein ökonomisches und politisches Modell für moderne Städtevernetzung“ setzte er sich kürzlich mit den Strukturen dieser kaufmann-dominierten Handels-Gesellschaft auseinander, die lange Zeit auch Bremen einschloss.

Pichierri ist Professor für Organisationssoziologie und beschäftigt sich mit den Grundlagen für erfolgreiche Netzwerke. Er untersucht Organisationen wie die Hanse auf ihre Funktions-weise. Auf diese Weise lässt sich auch das ach so ferne, grausame und skurrile Mittelalter für aktuelle Kooperationen ausschlachten.

Unter Anwendung moderner Struktur- und Netzwerk-Begriffe charakterisiert Pichierri die Hanse als „loosely-coupled system“, das heißt, als eine Formation von nur locker miteinander verbundenen Einheiten. Zwar konnte diese Verbindung in Krisen erhebliche Kräfte zum Schutz ihrer Interessen mobilisieren. Das Netzwerk unterlag generell jedoch keinem Selbstzweck: Die Ziele der einzelnen Mitglieder bildeten das Gesamtinteresse.

Diese Spielregeln, so Professor Pichierri, hätten heute eine neue Aktualität. Im Bereich der Kooperation von Unternehmen, Städten oder auch Ländern seien Verhandlungsfähigkeit und Kompromissbereitschaft unerlässlich geworden.

Pichierri scheint dabei nicht an die EU gedacht zu haben: Er plädiert jedenfalls dafür, unter dem Stichwort „Europa der Regionen“, die Vielfalt eben dieser Regionen zu erhalten. Die Hanse, so argumentiert er, habe sich dadurch ausgezeichnet, keinen starren und hierarchischen Strukturen unterworfen gewesen zu sein. Sie sei ein Netzwerk von im Seehandel erfolgreichen und autonomen Städten gewesen. Da sie keine nennenswerte Verwaltung hatte, stand ihre Struktur der der EU auch in dieser Hinsicht mehr als fern. Kritisch steht der Italiener Pichierri vor allem einer Institutionalisierung gegenüber, die auf das politische System übergreift. Ihm geht es um ein „balanciertes Verhältnis von Kooperation und Konkurrenz“; er betont vor allem den ökonomischen Sektor.

Diese unterschiedlichen Perspektiven nimmt Hartmut Roder, Abteilungsleiter für Handelskunde am Bremer Übersee-Museum, zum Anlass, die Alternativen zur heutigen Organisation der EU weiterzuspinnen. Er glaubt, dass ein heterogenes Europa kein Nachteil sein müsse. Die Europäer sähen, ähnlich wie zu Hansezeiten, vornehmlich die ökonomischen Anreize einer solchen Union.Roder stimmt mit Pichierri überein, dass die Hanse von der Struktur her ein andersartiger Bund als die Europäische Union sei. Insofern bliebe es zweifelhaft, ob die damaligen Bedingungen erfolgreich auf die aktuelle Situation übertragbar seien.

Überdies profitiere gerade Bremen von finanziellen Zuwendungen der EU, die, so Roder, für den lange verhinderten Strukturwandel eingesetzt werden müssten. An alte Zeiten anzuknüpfen hält der Historiker jedoch für verfrüht. Zwar werde die hansestädtische Tradition gerne beschworen, die Nationalstaaten seien jedoch weiterhin die ausschlaggebenden Mächte.

Eine Chance, von der Hanse zu profitieren sieht Hartmut Roder jedoch in anderer Hinsicht: Hier habe Bremen eine Möglichkeit, sein kulturelles Profil zu schärfen. Der Mythos Hanse biete Raum für Identifikation der Bürger mit der Stadt, die Ansatz für Neues sein könne.

jk

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