Vergabe von Antibiotika bei der Geburt: Antibiotika in der Windel

Zum Kaiserschnitt gehört die Gabe eines Antibiotikums. For­sche­r*in­nen aus Lübeck und Würzburg untersuchten, wie sich das auf Neugeborene auswirkt.

Eingang zum Kreissaal

Die Zahl der Kaiserschnittgeburten steigt Foto: Britta Pedersen/dpa

HANNOVER taz | Fast jedes dritte Kind kommt heute in Deutschland per Kaiserschnitt auf die Welt. Am Standort Kiel waren 2021 laut dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein zum Beispiel 35 Prozent der Geburten Kaiserschnittgeburten. In Lübeck hätten sogar 39 Prozent aller Mütter ihre Kinder so geboren.

Seit den 1990ern steigen die Sectioraten, in den vergangenen 30 Jahren hat sich die Zahl der Kaiserschnitte in Deutschland verdoppelt. Ein Trend, der auch global zu beobachten ist: Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) findet mittlerweile mehr als eine von fünf Geburten weltweit über den operativen Eingriff statt.

Dabei sind nicht alle durchgeführten Kaiserschnitte medizinisch notwendig. Im Gegenteil: Sie können für Mutter und Kind schädlich sein. Ein Problem ist die Vergabe von Antibiotika an die Mutter, erklärt Verena Bossung, Frauenärztin und Oberärztin, bis zuletzt an der Lübecker Uniklinik, inzwischen am Unispital in Zürich.

Ihre Forschungstätigkeit fokussiert sie auf das Mikrobiom von Mutter und Kind – also auf die Gesamtheit der im Körper lebenden Mikroorganismen. Das können Bakterien sein, die wichtige Aufgaben für den Menschen erfüllen. Beispielsweise bei der Verdrängung von Krankheitserregern oder bei der Herstellung von Vitaminen kommen sie zum Einsatz.

Höheres Risiko, an Asthma zu erkranken

Aus früheren Untersuchungen ist bekannt, dass Kinder, die als Säuglinge Antibiotika bekommen – weil sie beispielsweise als Frühchen auf die Welt kommen – unter einem höheren Risiko leiden können, an Asthma zu erkranken, sie sind anfälliger für Allergien oder auch für Übergewicht im weiteren Verlauf des Lebens. Eine Studie von Forschenden aus Minnesota konnte hierzu auch noch im Jahr 2021 einen Zusammenhang feststellen. Zumindest bei Kaiserschnittgeburten ist der Kontakt von Kind und Antibiotikum dabei eigentlich gar nicht zu vermeiden, erklärt Bossung.

Um Infektionen der Mutter zu verhindern, die sie sich unter Umständen während des Kaiserschnitts zuziehen kann, empfehlen internationale Leitlinien etwa 30 bis 120 Minuten vor dem Eingriff die Gabe eines Antibiotikums. So eine Prophylaxe werde übrigens auch bei vielen anderen chirurgischen Eingriffen verabreicht. Da inzwischen ein Drittel aller Kinder in Deutschland per Kaiserschnitt geboren werden, ergibt sich die Frage, inwiefern sich das bei der Geburt gegebene Antibiotikum auf das Neugeborene auswirkt.

Forschende aus Geburtshilfe, Kinderklinik und Klinik für Infektiologie und Mikrobiologie untersuchten nun die Auswirkung der Antibiotika-Vergabe auf das Neugeborene. Das Forschungsteam bestand größtenteils aus Forschenden in Lübeck und Würzburg.

Für die Untersuchung, die Verena Bossung federführend leitete, sind Stuhlproben von Neugeborenen analysiert worden, um medikamentöse Rückstände im Mikrobiom wiederzufinden. Die Gynäkologin erklärt, dass die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen eine Gruppe von insgesamt 40 Frauen vorab in zwei Gruppen aufteilten. Die eine Hälfte erhielt das Antibiotikum – so wie üblich 30 bis 120 Minuten vor der Geburt. Die übrigen Probandinnen erhielten dasselbe Medikament, jedoch erst kurz nach der Durchtrennung der Nabelschnur.

Medikament wirkt sich noch ein Jahr nach Geburt aus

Doch wenn die Sorge um die Auswirkung des Medikaments auf das Kind überhaupt im Raum steht – könnte nicht einfach darauf verzichtet werden? So einfach sei es nicht, meint Bossung. „Eine Infektion der Mutter kann man auch nicht einfach so in Kauf nehmen. Wenn eine Frau eine schwere Wund- oder Gebärmutterinfektion hat, dann kann sie sich nicht allzu gut um ihr Kind kümmern. Das kann sich dann auf die Mutter-Kind-Bindung auswirken. Zudem gefährdet es ihre eigene Gesundheit.“

Bossung betont, dass zudem die hygienischen Bedingungen in mitteleuropäischen Geburtsstationen berücksichtigt werden müssten. Bei den so sterilen Bedingungen, mit all den Einweginstrumenten könne sie sich noch eine weitere Studie vorstellen, die sich darauf konzentriert, inwiefern eine Antibiotikagabe bei geplanten Kaiserschnitten, die ein niedriges Infektionsrisiko haben, unter modernen Bedingungen überhaupt noch von Relevanz sei.

Ergebnis der Studie sei nun, dass das Medikament nicht nur direkt nach der Geburt, sondern auch noch einen Monat und sogar ein Jahr nach der Geburt einen Einfluss auf die Darmbesiedlung und damit auf das Mikrobiom des Kindes hat. Bossung erklärt, dass die meisten dieser Antibiotika über die Plazenta schnell zum Kind gelangen könnten. „Wir wollten wissen: Macht es überhaupt einen Unterschied? Immerhin ist es nur eine einzige Gabe – eine halbe Stunde vor der OP“, sagt Bossung.

Tatsächlich konnte ein Unterschied im Stuhl der Neugeborenen und damit in ihrem Mikrobiom nachgewiesen werden. Dabei besteht auch zu der Kontrollgruppe ein deutlicher Unterschied. In den Proben nach einem Monat und nach einem Jahr sind ebenso Unterschiede in der Darmbesiedlung zu finden – diese sind jedoch nicht signifikant.

Im Laufe der Zeit glichen sich die beiden Gruppen aneinander an. Das dürfte laut Bossung daran liegen, dass weitere Faktoren dazukommen, die das Mikrobiom beeinflussen. Die Kinder würden beispielsweise oft nicht mehr gestillt und essen stattdessen feste Nahrung.

Allerdings betont Bossung: „Dass sich der Unterschied im Mikrobiom übersetzt und langfristig einen Effekt auf die Gesundheit der Kinder hat, können wir nur behaupten, aber nicht belegen.“ Dafür müsste es weiterführende Studien geben.

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