Verfremdete Werbeplakate: Wie eine Warnweste unsichtbar macht
Aktivist*innen kapern Werbeplakate der Bundeswehr. Mit der richtigen Kleidung hinterfragt das auch niemand.
Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf“, so steht es im Artikel 87a des Grundgesetzes. Die eigene Verteidigung ist der Bundeswehr dabei am vergangenen Wochenende nicht so gut gelungen: Die Werbeposter des Militärs, die rund um das Verteidigungsministerium in Berlin-Mitte an Bushaltestellen und Werbesäulen hingen, wurden gekapert. Die Aktivist*innen-Gruppe „Außenwerbung kunstvoll kapern“ (akk) veränderte am vergangenen Wochenende dreißig dieser Poster.
Eigentliches Ziel der Recruiting-Kampagne war es, mit Bildern von Meereswellen für den Dienst auf See zu werben. Stattdessen zieren die Plakate nun Sprüche wie dieser: „Volle Kraft voraus in die Klimakrise. Statt Klimaschutz zu fördern, verdoppeln wir den Wehretat.“ Mit der Aktion möchte die Gruppe akk darauf aufmerksam machen, mehr Geld in die Seenotrettung und den Klimaschutz zu investieren. Die Kritik: Die Regierung kaufe Kriegsgeräte und Waffen, um einen Kapitalismus zu verteidigen, „der das Klima ruiniert und globale Ungerechtigkeit schafft“, so Annegret, die*der Sprecher*in von akk in der Pressemitteilung.
Auf Twitter wird die Aktion mit Humor genommen. „Die neue Bundeswehr YouTube Serie ist draußen“, kommentiert ein User und bezieht sich damit auf ein Foto eines veränderten Plakats: „Rumballern statt Retten. Statt Geflüchtete im Mittelmeer zu retten, rüsten wir auf.“ Der Hintergrund für die Aktion ist ernst. Zum Schmunzeln bringt aber das Vorgehen der Gruppe: Die Anleitung für das Austauschen der Poster stamme nämlich aus dem Internet. Hinter der Aktion steckt also kein großes Vorwissen, sondern einfach eine Suchmaschinenanfrage. Kein Wunder also, dass Adbusting (zu Deutsch: das Verfremden von Werbeplakaten) immer beliebter wird. Die Online-Anleitung erklärt für Laien, welchen Rohrsteckschlüssel es braucht, damit die Werbevitrinen ohne Beschädigungen geöffnet werden können.
Nachdem die Aktivist*innen die Plakate entwendet und mit Sprayfarbe nach ihren Wünschen verändert haben, platzierten sie die ausgeliehenen Poster wieder in der Vitrine – auch das ein Kinderspiel. Arbeitskleidung und Warnweste wirken „wie ein postmoderner Unsichtbarkeitsmantel“, so Annegret. „An einer Bushaltestelle warteten Angestellte aus dem Botschaftsviertel auf einen Bus. Einmal kurz grüßen, mit der Stimme der Autorität bitten beiseitezutreten, und es hätte nicht viel gefehlt, und die hätten uns auch noch beim Aufhängen geholfen“, heißt es in der Mitteilung.
Und tatsächlich, wer hinterfragt schon Menschen in Warnweste? Die Plakate auszutauschen ging unbemerkt vonstatten. Fraglich bleibt nun, welchen Nachhall die Aktion hervorruft. Für den 12. Juni sind jedenfalls schon weitere Aktionen angekündigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
SPD-Linker Sebastian Roloff
„Die Debatte über die Kanzlerkandidatur kommt zur Unzeit“
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los