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Verfassungsschutz ohne Kontrolle

■ Der Verfassungsschutz-Ausschuß dümpelt seit fast einem Jahr vor sich hin. PDS-Abgeordneter Over als Sündenbock. CDU-Vorschläge lehnen SPD und Oppositionsparteien ab. Rückt PDS von Over ab?

Die Lage ist so vertrackt, daß sie SPD-Fraktionschef Klaus Böger kürzlich nur noch mit einem tiefen Seufzer kommentierte. „Im Augenblick“ habe er auch keine Idee, wie es mit der Arbeit des Verfassungsschutz-Ausschusses weitergehen solle. Tatsache ist, daß das parlamentarische Kontrollgremium das letzte Mal vor den Wahlen im Oktober seine Funktion wahrnehmen konnte.

Weil die CDU den PDS-Abgeordneten Freke Over nicht zum stellvertretenden Ausschußvorsitzenden wählen wollte, fiel die konstituierende Sitzung im Februar schlichtweg aus. Ein „Unding“ sei es, daß der Ausschuß „wegen der CDU-Show“ vor sich hin dümpele, ärgert sich Grünen-Fraktionschef Wolfgang Wieland.

Der Konflikt um den Ausschuß förderte ein verfassungsrechtliches Problem zuTage, das die CDU auf die Tagesordnung hievte. Nach dem Wortlaut der Berliner Verfassung müßten sämtliche Ausschüsse eigentlich vom Abgeordnetenhaus gewählt werden. In der Praxis und laut Geschäftsordnung werden sie aber seit Jahrzehnten vom Parlament gebildet: Die Fraktionen schlagen die Mitglieder vor, der Parlamentspräsident nimmt diese stillschweigend zur Kenntnis. Die Diskrepanz zwischen Verfassungstext und -wirklichkeit wurde auch in einem Gutachten des wissenschaftlichen Parlamentsdienstes moniert. Die CDU beharrt nach wie vor auf zwei Lösungen: Entweder wird die Geschäftsordnung dem Wortlaut der Verfassung angepaßt – dann müßten sämtliche Ausschüsse vom Parlament gewählt werden. Oder aber die unter Rot-Grün zugunsten des Geheimdienst-Ausschusses abgeschaffte Parlamentarische Kontrollkommission wird wieder installiert. „Es liegt an der SPD, die Kuh vom Eis zu bringen“, sagt der parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Dieter Hapel. Böger hingegen spricht von „Scheinlösungen“, und Wieland hat an die Parlamentarische Kontrollkommission nur ungute Erinnerungen: Als Störenfried mußte die damalige AL draußen bleiben. Auch die Variante, alle Ausschüsse durch das Parlament wählen zu lassen, stößt bei der Opposition auf Ablehnung: Die Mehrheit könnte so unliebsame Kandidaten durchfallen lassen, befürchtet Wieland. Die Bündnisgrünen wollen am liebsten in die Verfassung die „Bildung“ von Ausschüssen hineinschreiben lassen – ein entsprechender Antrag liegt dem Parlament seit geraumer Zeit vor.

Bögers Idee, notfalls könnte das Amt geheime Vorlagen ja am Ausschuß vorbei der Parlamentarischen G-10-Kommission vorlegen – sie ist unter anderem für die Genehmigung von Telefonüberwachungen zuständig –, findet bei CDU und Bündnisgrünen keinen Anklang. Das sei nicht die Funktion der G-10-Kommission, meinen übereinstimmend Hapel und Wieland. PDS-Sprecher Günter Kolodziej wiederum erklärt, seine Partei halte an Over nach wie vor fest. Unterderhand wird andererseits in Kreisen der Fraktion nicht ausgeschlossen, daß die Partei am Ende einen anderen als Over in den Ausschuß schicken könnte. Severin Weiland

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