Verfassungsschutz-Chef Heinz Fromm: "Antikapitalismus kann demokratisch sein"
Verfassungsschutz-Chef Heinz Fromm über militante Neonazis, die Chancen einer Anti-Islam-Partei und warum er Linksparteipolitiker Bodo Ramelow beobachtet.
taz: Herr Fromm, Sie sind SPD-Mitglied: Ist es richtig, Thilo Sarrazin aus der Partei zu werfen?
Heinz Fromm: Dazu äußere ich mich nicht.
Und was sagt der Verfassungsschutz-Präsident zu Sarrazin?
Der Verfassungsschutz befasst sich mit extremistischen Organisationen und ihren Aktivitäten, nicht mit der Meinung Einzelner.
Dann unabhängig von Sarrazin: Kann in Deutschland eine neue, erfolgreiche rechtspopulistische Partei entstehen. Die auf Islamfeindlichkeit setzt, aber nicht geschichtsrevisionistisch oder neonazistisch ist?
Im Moment sehe ich das nicht. Aber das kann sich schnell ändern, wie wir in Nachbarländern wie den Niederlanden verfolgen konnten. Das hängt sicher besonders stark von Personen ab. Um politisch erfolgreich zu sein, reicht islamfeindliche Propaganda allein nicht aus. Das haben wir ja schon. Und es mag von Ereignissen abhängen, die wir noch nicht kennen - einem terroristischen Anschlag zum Beispiel. Derzeit kann man nur beobachten, dass sowohl die NPD als auch die "Pro Bewegung" versuchen, Islamisierungsängste zu schüren und für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.
Warum hatte die "Pro-Bewegung" bisher so wenig Erfolg?
Sie verfügt über keine Persönlichkeit, die bekannt ist, eine Ausstrahlung hat und in Teilen der Bevölkerung Anerkennung finden könnte. Außerdem hat die "Pro Bewegung" außer antiislamischen Ressentiments programmatisch nichts anzubieten. Im Übrigen glaube ich nach wie vor, dass es eine rechtsextremistische oder auch rechtspopulistische Partei aus historischen Gründen in Deutschland schwerer hat zu reüssieren. Gott sei dank sind solche Positionen bisher bei uns politisch nicht, auch nicht ansatzweise, mehrheitsfähig gewesen.
Nun wollen aber die beiden größten rechtsextremen Parteien fusionieren. Besser gesagt: Die NPD will die DVU übernehmen. Macht Ihnen das Sorgen?
Rechtsextremismus muss uns immer Sorgen machen. In der Tat ist ein Zusammenschluss von NPD und DVU angesichts veränderter Bedingungen realistischer geworden. Das wird aber nach meiner Einschätzung die Schlagkraft der NPD nicht erhöhen. Beide Parteien sind finanziell am Ende. Die DVU ist zudem sehr stark geschrumpft und leidet an Überalterung. Anfang der 90er Jahre hatte sie noch über 20.000 Mitglieder. Jetzt sind es 4.500, darunter etliche Karteileichen. Dazu kommt, dass es in der NPD interne Spannungen gibt. Die könnten sich durch eine Übernahme der Rest-DVU noch verstärken.
Eine Fusion kann auch praktisch sein: Man kann auf einen Schlag zwei Parteien verbieten. Sollte man einen zweiten Anlauf für ein NPD-Verbot wagen?
Auch mir wäre es lieber, es gäbe die NPD nicht. Aber ich bin sehr skeptisch, ob man nach der Einstellung des ersten Verbotsverfahrens einen zweiten Anlauf für ein Verbot wagen sollte. Nach meiner Einschätzung besteht ein hohes Risiko des Scheiterns, und das würde die NPD nur unnötig stärken.
Heinz Fromm
Der 62-jährige Jurist ist seit zehn Jahren Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz in Köln. Von 1993 bis 1999 war das SPD-Mitglied Fromm unter dem damaligen hessischen Ministerpräsidenten Hans Eichel Innenstaatssekretär. Für kurze Zeit wurde Fromm Leiter der Justizvollzugsanstalt Kassel, bis ihn Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) im Jahr 2000 zum Chef des Verfassungsschutzes machte. Ein Jahr später wollte die rot-grüne Bundesregierung die rechtsextreme NPD verbieten lassen. Das Verbot scheiterte 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht an der Präsenz der V-Leute in der NPD. Heute ist der Verfassungsschutz-Präsident skeptisch, ob man einen zweiten Anlauf für ein Verbot wagen sollte. Seine Behörde feierte in diesen Tagen ihr 60-jähriges Bestehen.
Gibt es andere Entwicklungen im Rechtsextremismus, die Ihnen Bauchschmerzen bereiten?
Eine sehr ungute Entwicklung ist die seit einiger Zeit zunehmende Militanz von Neonazis bei Demonstrationen. Am 1. Mai 2009 griffen "Autonome Nationalisten" in Dortmund eine DGB-Veranstaltung an. In diesem Jahr wurden am 1. Mai in Berlin mit Glas versetzte Sprengkörper gefunden, die einer neonazistischen Kameradschaft zugeordnet werden konnten. Das sind nur zwei besonders augenfällige Beispiele. Diese Form geplanter rechtsextremistischer Gewalt im Rahmen von Demonstrationen kannten wir bisher nicht.
Fast 140 Menschen starben seit der Wende durch rechte Gewalt. Gleichwohl haben Sie bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts im Juni den Linksextremismus in den Mittelpunkt gestellt. Warum?
Für 2009 haben wir eine Zahl von 6.600 gewaltbereiten Linksextremisten festgestellt. Das ist der höchste Stand seit zehn Jahren. Linksextremistisch motivierte Gewalttaten sind von 2008 auf 2009 um circa 59 Prozent gestiegen. Ich spreche nicht von irgendwelchen Farbschmierereien, sondern von versuchten Tötungsdelikten, Körperverletzungen, Brandstiftungen und von Landfriedensbruch. Darauf muss reagiert werden. Es gibt mehr Anschläge, mehr brennende Autos …
… wobei man oft nicht weiß, warum die brennen, oder?
Bei Bundeswehrfahrzeugen oder DHL-Autos ist die politische Motivation klar zu erkennen. Dazu kommt verstärkt massive Gewalt gegen Polizisten. Das geht qualitativ und quantitativ über das hinaus, was wir in früheren Jahren hatten. Denken Sie nur an den konspirativ geplanten direkten Angriff auf eine Polizeiwache in Hamburg im Dezember 2009 oder die Verwendung von Gaskartuschen als Sprengsätze.
Sie stocken die Zahl der Mitarbeiter im Bereich Linksextremismus nun auf. Von einer Verdoppelung war die Rede.
Nein, keine Verdoppelung. Aber wir werden mehr Personal für die Beobachtung des militanten Linksextremismus einsetzen, das ist richtig.
Kritiker klagen: Nun werden Rechtsextremismus und Linksextremismus gleichgesetzt. "Seit der Wende gab es mehr als 140 Todesopfer rechter Gewalt, ich kann mich an keinen einzigen Toten durch linke Gewalt erinnern", sagt Ex-Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye.
Der Verfassungsschutz hat Links- wie Rechtsextremismus zu beobachten - mit jeweils angemessenem Aufwand. Wir ziehen keine wertenden Vergleiche zwischen den verschiedenen Extremismusformen, von Gleichsetzung kann also keine Rede sein. Bei der Bekämpfung schwerster Gewalt dürfen ideologische Motive, so interessant und relevant sie sein mögen, für die Sicherheitsbehörden keine Rolle spielen. Ich halte grundsätzlich nichts von einer Aufrechnung der Opferzahlen links- und rechtsextremistischer Militanz. Wir sehen seit Jahren schwere Gewalttaten aus dem rechtsextremistischen Spektrum. Darum kümmern wir uns intensiv und es gibt keine Absicht, diese Anstrengungen zu reduzieren.
Der Verfassungsschutz führt auch ein Dossier über den Linksparteipolitiker Bodo Ramelow - Gewerkschafter, Christ und auch bei manchen politischen Gegnern anerkannt. Muss das sein?
Wir sind nach dem Gesetz gehalten, Organisationen zu beobachten, bei denen es Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen gibt. Das ist bei der Linkspartei der Fall. Deshalb bewerten wir auch - übrigens nur offen zugängliche - Informationen über diese Partei. Die aus meiner Sicht logische Folge davon ist, dass die persönlichen Daten der führenden Repräsentanten erfasst werden.
Würden Sie Ramelow auch weiter beobachten, wenn er 2009 Ministerpräsident in Thüringen geworden wäre?
Das Bundesverfassungsschutzgesetz differenziert insofern nicht. Wir sind für die Beobachtung der Bundespartei zuständig, sodass es allein darauf ankommt, ob jemand hier eine führende Funktion innehat.
Aber es gibt seit Jahren einen Rechtsstreit um die Frage, ob Ihre Behörde Ramelow beobachten darf.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Rechtmäßigkeit der Beobachtung kürzlich bestätigt.
Der Verfassungsschutz ist doch nicht im Ernst verpflichtet, über jeden Linksparteipolitiker ein Dossier zu führen?
Das geschieht ja auch nicht. Es werden, wie gesagt, das Führungspersonal und die Mitglieder extremistischer Gruppierungen in der Partei erfasst. Eine Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln findet nicht statt.
Ramelow empfindet dieses Verfassungsschutz-Dossier als Stigma. Verständlich, oder?
Ich verstehe, dass das als störend empfunden wird. Unter den gegebenen Umständen ist das aber unvermeidlich.
Angenommen, es gibt 2013 eine rot-rot-grüne Bundesregierung. Dann wird der Verfassungsschutz in Sachen Linkspartei doch politisch opportun handeln.
Nicht politische Opportunität, sondern das Gesetz ist Maßstab für das Handeln des Verfassungsschutzes. Und wenn wir etwas falsch machen, werden wir auch von den Gerichten korrigiert. Bisher ist das nicht geschehen.
Sie würden das Dossier auch über einen Innenminister Ramelow weiterführen?
Mit dieser Frage ist die Grenze meiner Vorstellungskraft überschritten.
Ist Antikapitalismus eigentlich verfassungsfeindlich?
Nein, wer etwa Bereiche der Wirtschaft in Gemeineigentum überführen will, ist nicht automatisch demokratiefeindlich. Das ist nach dem Grundgesetz unter bestimmten Bedingungen statthaft. Es gibt aber in der Partei "Die Linke" eine Kapitalismuskritik, die weit mehr meint als eine andere Wirtschaftsordnung. Im Programmentwurf wird die Überwindung der Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse gefordert …
Damit kann viel gemeint sein. In dem Text ist nirgends von der Abschaffung der parlamentarischen Demokratie die Rede.
Nein, die Begrifflichkeit bleibt vage. Im Entwurf finden sich Hinweise auf rätedemokratische Organisationsformen, neben Reformschritten auf dem Weg zum demokratischen Sozialismus ist von "Brüchen und Umwälzungen mit revolutionärer Tiefe" die Rede. Es empfiehlt sich, den Text im Kontext der Positionen der "Kommunistischen Plattform" oder im Lichte der Zusammenarbeit mit kommunistischen Gruppen im Ausland zu lesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt